Czerny: Pianoforte-Schule ... op. 500,III

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20tes Kapitel. Über die guten Eigenschaften, die Erhaltung und das Stimmen der Fortepiano.

<92> § 1. Nach vieljährigen Versuchen und Verbesserungen im Bau der Fortepiano in den gebildetsten europäischen Ländern hat man endlich gefunden, dass ein gutes Fortepiano folgende Eigenschaften haben kann und folglich haben muss:
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  1. Einen vollen, kräftigen und runden, (niemals scharfen oder schneidenden, aber auch nicht dumpfen) Ton, welcher in allen Octaven eine verhältnissmässig gleiche Kraft hat.
  2. Die Kraft dieses Tones muss der Spieler durch die Behandlung und den Anschlag dergestalt beliebig verändern und vom leisesten pp bis zum ff steigern können, dass es im kleinen Lokale nicht zu stark und zu grell klinge, und dass es dagegen doch im grösseren Lokale, und selbst im ganz grossen Concertsaal deutlich, kräftig und allgemein vernehmbar sei.
  3. Es muss einen lange singenden Ton haben, so dass man auch langsame und gehaltene Melodien darauf mit Gehalt und Interesse vortragen könne; es muss aber auch alle Arten von Staccato, bis zu dem kürzesten trockenen Abstossen wiederzugeben fähig sein, so dass man auch die geschwindesten Passagen mit aller Deutlichkeit ausführen könne.
  4. Das Traktament, (Die Spielart) desselben darf weder zu schwer noch zu leicht sein: so dass der kräftige Mann seine geregelte Stärke darauf mit Zuversicht entwickeln könne, dass aber auch die zarte Hand des Mädchens, ja des Kindes, noch im Stande sei, es ohne allzugrosse Anstrengung mit Leichtigkeit zu behandeln.
  5. Es darf daran keine Taste, kein Dämpfer, und überhaupt nichts Bewegliches stecken bleiben, so wie man auch nebst dem Tone niemals ein Schnarren, Säuseln, oder Klappern beim Anschlage der Tasten hören darf.
  6. Es muss dauerhaft sein, und die Stimmung gut halten. Es ist die Sache des Verfertigers, alles dieses zu bewirken.

§ 2. Aber auch der Besitzer und der Spieler hat seine Pflichten, um sein Instrument stets in diesem guten Stande zu erhalten. Denn auch die vollkommenste Maschine verdirbt, wenn man sie verwahrlost, oder übel behandelt. Daher hat der Besitzer Folgendes zu beachten:

  1. Das Fortepiano muss an einem trockenen Orte stehen, da ihm jede Feuchtigkeit schadet. Es darf dem anhaltenden Luftzuge nicht ausgesetzt sein. Es darf weder an einem allzu kalten, noch allzu warmen Orte stehen, und daher weder nahe am Fenster noch nahe am Ofen und Kamin. Wo sich das Letzte nicht vermeiden lässt, ist ein Schirm an den Ofen zu stellen.
  2. Es muss stets reinlich, frei vom Staube gehalten, und auch keine allzu schweren Gewichte darauf gelegt werden. Die Saiten darf man nie mit feuchten Fingern berühren, oder andere Dinge darauf fallen lassen, da selbst die kleinste Stecknadel, welche auf denselben oder auf dem Resonanzboden liegt, ein widriges Schnarren verursacht. Eben so verhüte man jede Unreinlichkeit auf den Tasten, wie z.B. Brodkrummen, Wachstropfen, etc:, weil dann die Tasten stecken bleiben.
  3. Dass das Fortepiano nie beim Spiele misshandelt werden darf, dass man nie darauf schlagen und hacken soll, weiss jeder gebildete Spieler, jeder Schüler eines guten Lehrers ohnehin, und selbst der kräftige junge Mann wird die natürliche Stärke seiner Hände so zu zügeln wissen, dass das Instrument nie durch ihn leiden wird; denn er ist dieses seinem Schönheitssinn sowohl, wie den Zuhörern schuldig. Derjenige kann nie unter die guten, gebildeten Spieler gerechnet werden, unter dessen Faust das Fortepiano leidet und verdirbt.
  4. Man erhalte das Instrument stets in einer richtigen Stimmung. Ein neues Fortepiano muss in den ersten Monathen oft, (ungefähr alle 14 Tage) gestimmt werden. Später ist es alle 4 bis 6 Wochen, auch wohl alle 2 Monathe hinreichend.

§ 3. Es ist allerdings vortheilhaft, wenn wenigstens erwachsene Spieler im Stande sind, ein Fortepiano rein zu stimmen und auch Saiten aufzuziehen.

Wir lassen daher eine kleine Anweisung dazu hier nachfolgen, so deutlich als es sich mit Worten thun lässt.

§ 4. Zum Stimmen gehört die Stimmgabel, der Stimmhammer, und der Dämpferkeil, welcher Letztere aus einem mit Leder überzogenen Hölzchen besteht, das unten schmal ist und immer breiter aufwärts läuft. Diese drei Dinge, so wie die nöthigen Saiten, fügt der Claviermacher seinem Instrumente beim Verkaufe in der Regel stets bei.

§ 5. Wenn man die Stimmgabel bei der einfachen Spitze festhält, hierauf eine der Doppelspitzen stark gegen einen festen Gegenstand anschlägt, und sodann schnell mit der einfachen Spitze auf einen eben so festen Gegenstand fest andrückt, so dass die Doppelspitzen frei aufwärts <94> stehen, so ertönt das A der dritten Octave: [Notenbeispiel] rein und klar, und darnach wird auch diese Taste gestimmt, welche sodann den übrigen zur Richtschnur dient.

§ 6. Da jeder Ton aus drei Saiten besteht, und da man eine einzelne Saite nicht wohl stimmen kann, wenn die andern 2 mitklingen, so steckt man die schmale Lederspitze des Dämpferkeils zwischen die 2 Saiten rechts, und zwar ganz nahe an der Dämpfung. Diese 2 Saiten sind sodann gedämpft, und man stimmt bequem die erste, allein klingende Saite. Hierauf steckt man den Dämpferkeil dergestalt unter die dritte Saite, dass er sich an den Piano-zug fest anlehnt, und stimmt die hiedurch frei gewordene mittere Saite genau mit der ersten überein, so dass beide nur einen Ton geben. Sodann wird der Dämpferkeil ganz weggelegt, und man stimmt die dritte Saite genau mit den andern zweien zusammen.

§ 7. Man hüte sich, den Stimmhammer zu schnell, zu heftig, zu weit, oder zu oft auf und ab zu drehen. Die geringste Bewegung mit der Hand auf oder ab, reicht hin, um die Saite auf die gehörige Höhe zu führen, indem man die Taste zuvor mit der linken Hand fest anschlägt, und während dem nachfolgenden Klang mit der rechten Hand den Stimmhammer rechts oder links dreht, je nachdem die Saite zu tief oder zu hoch klingt.

§ 8. Wenn ein Fortepiano völlig durchgestimmt werden soll, so wird Anfangs die Mitte der Tastatur, und zwar in folgendem Umfange, von [Notenbeispiel: d]bis [Notenbeispiel: a'] ins Reine gestimmt. Dieses geschieht wie folgt:

§ 9. Die zwei wohlklingendsten Intervalle sind die Octave und die Quinte, und ein musikalisch geübtes Gehör merkt sogleich, ob die Stimmung derselben rein ist oder nicht. Daher wird am sichersten nach diesen zwei Intervallen gestimmt. Wenn nämlich das A der dritten Octave nach der Stimmgabel ganz rein und genau tönt, so stimmt man dazu das untere A, nämlich die tiefere Octave, sodann die Quinte E aufwärts, dann dessen Octave E abwärts, dann von diesem die Quint H aufwärts, sodann von diesem ebenfalls die Quint Fis aufwärts, dann die Octave Fis abwärts, sodann die Quinte Cis aufwärts. Ist dieses Cis gestimmt, so schlägt man zur Probe den A-dur-Accord: [Notenbeispiel] an, und wenn dieser rein klingt so ist bis daher die Stimmung wohl gelungen. Hier folgt die ganze Tabelle der zu stimmenden Mitteltöne:

[Notenbeispiel 94-4]

§ 10. Wenn man dann in diesem gestimmten Umfang zu spielen versucht, und denselben unrein finden sollte, so ist es ein Beweis, dass man gegen die sogenannte Schwebung (Temperatur) gefehlt hat; und damit verhält es sich folgendermassen:

§ 11. Es gibt 3 Grade von Reinheit, mit welchen man eine Octave, Quinte oder Terz stimmen kann, und man nennt sie 1tens die erste Reinheit, welche ein klein wenig abwärts schwebt, 2tens die genaue oder ganze Reinheit, und 3tens die überflüssige oder höchst scharfe Reinheit. Da aber die 12 Töne, aus welchen eine Octave besteht, gegeneinander eine gewisse Ungleichheit haben, so dass beinahe ein Viertelton unter 12 Töne vertheilt oder mit eingestimmt werden muss, so dürfen daher nicht alle Intervalle bis zur überflüssigen Reinheit hinaufgestimmt werden. Es wird also angenommen, dass die Octaven ganz rein, (das heisst scharf) gestimmt werden müssen, dagegen aber die Quinten zwar auch rein, aber ein klein wenig abwärts schwebend, und folglich nicht so scharf.

<95> Die eigentliche Schwierigkeit und Kunst des Stimmens besteht nun darin, diesen sehr feinen Unterschied zu beobachten, und man muss sehr viele Fortepiano gestimmt haben, bis man endlich das richtige Verhältniss kennen gelernt und sich angewöhnt hat. Wenn man daher bei den letzten Quinten und Octaven findet, dass man im Stimmen zu hoch oder zu tief gekommen ist, so muss man wieder zurückgehen, bis man den Fehler findet.

§ 12. Man muss jede Saite von der Tiefe nach der Höhe stimmen. Wenn nämlich z.B. eine Saite höher klingt, als sie sein soll, so muss sie nicht allein herunter, sondern so tief herabgelassen werden, dass man sie wieder aufwärts ziehen muss, um die rechte Höhe zu finden.

§ 13. Wenn die Mitte der Tastatur richtig gestimmt ist, dann ist alles Übrige leicht: man stimmt nämlich in Octaven, von einem halben Ton zum andern aufwärts und abwärts, wie folgt:

in den Violin.

[Notenbeispiel 95-1]

u.s.f. bis zum höchsten Tone.

in den Bass.

[Notenbeispiel 95-2]

u.s.f. bis zum tiefsten Tone.

§ 14. Um einen einzelnen Ton rein zu stimmen, schlägt man stets die Octave dazu an, (im Violin die tiefere, im untern Basse die höhere) und das übrige Verfahren haben wir schon im § 6 erklärt.

§ 15. Wenn eine Saite abgerissen ist, so trachte man sie gleich durch eine andere zu ersetzen, weil sonst die übriggebliebenen bei jedem starken Schlage doppelt leiden würden. Um sie wieder aufzuziehen, suche man vor Allem diejenige aus, welche ihr an Dicke und Metall ganz gleich ist. Denn zwei Saiten von verschiedener Stärke geben zusammen keinen reinen Ton. Hierauf dreht man (links) den Wirbel oder Stimmnagel mit dem Stimmhammer heraus, wobei, so wie beim Stimmen, wohl Acht zu geben ist, dass man nicht einen unrechten Wirbel anfasse. Hierauf nimmt man die Saitenrolle in die linke Hand, den Stimmhammer in die Rechte; das Ende der Saite wird ungefähr einen kleinen Finger lang übereinander gelegt, und hierauf mit dem, am Stimmhammer befindlichen kleinen Hacken in die Schlinge gelangt, und der Hammer so lange gedreht, bis sich ein Öhr gebildet hat, genau nach der Form wie alle übrigen Saiten rückwärts im innern Kasten an der Wand gebildet sind. Nun zieht man dieses Öhr durch die Dämpfung an dem Orte wo die Saite hingehört, fasst es mit der rechten Hand hinter der Dämpfung, zieht die Saite, indem man die Rolle in der linken Hand langsam ablaufen lässt, bis zu dem hintern Stifte, wo die vorige Saite eingehackt war, und hängt selbe ein. Bei den sehr langen Saiten lässt man die Rolle während dem von einem Gehülfen vorne an der Tastatur einstweilen festhalten. Nun nimmt man wieder den Wirbel, misst vorne die Länge der Saite ab, und gibt noch ein Stück von einer Viertelelle über das Wirbelloch zu, und reisst die Saite, (durch öfteres Umdrehen) von der Rolle ab. Man muss wohl Acht geben, dass bei diesem Verfahren kein Bug oder Knoten in die Saite komme, so wie auch, dass die Dämpfung dabei nicht beschädigt werde. Jetzt nimmt man das Ende der Saite in die rechte Hand, den Kopf des Wirbels (Stimmnagels) in die vordern Finger der Linken, legt die Saite etwas über die Mitte des Wirbels nach oben zu, so daran an, dass deren Ende ungefähr eines halben Zolls Länge nach unten zu hart anliegt, hält sie mit dem Zeigefinger und Daumen am Wirbel nach oben zu fest, und wickelt nun mit der rechten Hand die Saite über das angelegte Ende nach unten zu, äusserst fest, so dass sie dicht nebeneinander spiralförmig zu liegen kommt, hierauf dreht man den Wirbel zwischen beiden Händen fort ungefähr 10- bis 12-mal, bis zum Loche, wo der Wirbel hineingesteckt wird, welchen man sogleich mit dem Stimmhammer fasst und fest hinabdrückt. Hierauf wird die Saite rückwärts am Resonanzboden, so wie vorne am Stimmstock auf den da befindlichen Leisten zwischen die Stifte so eingelegt, wie die übrigen Saiten liegen, und so fort nach und nach gestimmt.

Für zarte Hände ist dieses, so wie das Stimmen, eine mühsame Arbeit; aber es ist ein nothwendiges, und oft unvermeidliches Übel, und daher immer ein Vortheil, wenn man sich dabei zu helfen weiss.

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