Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

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L. Adam: Pianoforteschule (vor 1810)

Im Uebergange gewissermaßen aus der älteren Methodik in die nächstfolgende Epoche steht die

<73> Pianoforteschule des Conservatoriums der Musik in Paris von L. [Louis] Adam (lebte 1760-1811).

Da die Jahreszahl auf dem Titelblatte fehlt, so läßt sich das Erscheinen dieses Werkes nur muthmaßlich bestimmen. Es dürfte in den Anfang dieses Jahrhunderts fallen, wenn man erwägt, daß der Verfasser ein auf Erfahrungen beruhendes Lehrbuch nicht in der Jugend geschrieben haben kann. Vergegenwärtigt man sich aber andererseits den Mangel systematischer Ordnung, die man bei Türk unbedingt sehr anerkennen muß, und die in diesem Werke wenig hervortritt, so verliert die eben ausgesprochene Hypothese allerdings wieder an Gewicht.

Was diese und die folgenden Schulen von den vorigen ebenfalls noch unterscheidet, ist die Verkürzung des Kapitels von den Manieren und eine Einschränkung des Stoffes, der der Kompositionslehre angehört. Das Material wird zunächst in schärferer Begrenzung erkannt.

Indem die Adamsche Lehre der gewöhnlichen Elemente übergangen wird, fassen wir mehr den inhaltlichen Theil zusammen, der aus verschiedenen zerstreuten Fragmenten sich ungefähr zu folgendem Abriß gestalten würde.

Die sinnlichen Feinheiten sind zunächst erweitert; auch bezieht sich das Werk auf die Instrumente mit Hämmern ausschließlich, während selbst bei Türk noch die älteren Gattungen vorwiegende Berücksichtigung erfahren. Dies mußte auf die Tonbildung wesentlichen Einfluß haben.

Wenn Bach (§. 17) sagte, das Anschlagen der Taste oder ihr Druck sei einerlei, und Türk in der mitgetheilten Notiz über Anschlag hauptsächlich das Klavichord im Auge hat, den Flügel sogar für den Ausdruck nicht recht für geeignet hält, bricht Adam für ein neues Feld der Theorie, nämlich die Tonbildung oder den Anschlag Bahn. Er sagt, die Mannigfaltigkeit des Anschlags im Berühren <74> der Taste und dem Herausziehen des Tones ist außerordentlich. Nur durch den Anschlag erhält man einen guten Ton, nur die Kraft und der Druck des Fingers sind dabei anzuwenden. - Der Schüler bemühe sich, Alles mit Ausdruck zu spielen, jede Note sei bedeutungsvoll. Er suche nur das Gesangreiche, welches große Meister auf allen Instrumenten haben, die verschiedenen Biegungen der Stimme so viel als möglich nachzuahmen, welche so weich und rührend ist.

Adam erschöpft sich in Ausdrücken, um einen sehr allgemein gehaltenen Gedanken auszubeuten. In tiefere Unterschiede, in die technischen Bedingungen namentlich dringt er nicht ein. Die Empfindung ist noch das allein Bestimmende, ein methodischer Scharfblick für die Erkenntniß der mechanischen Details, als entgegenkommender Vermittelung für jene, fehlt noch gänzlich. Es confundiren sich auch die verschiedenen Theile des Lehrstoffs. Unmittelbar nach den Anschlagsbesprechungen heißt es weiter: "Die Musik ist wie das Sprechen, charakterisirt durch gleiche Gesetze. Man muß ein Stück treu, dem Charakter und der Empfindung gemäß wiedergeben, mit welcher es niedergeschrieben wurde usw."

Diese Art der Darstellung ist allerdings kein Fortschritt über Bach und Türk zu nennen. Adam bewegt sich fortdauernd in allgemeinen, nicht methodisch geordneten Phrasen. Ueberdem ist das, was den Vortrag betrifft, an mehreren Stellen zerstreut enthalten, so daß man es erst sammeln muß, um eine zusammenhängende Ansicht zu gewinnen. Es vertheilt sich auf drei Kapitel, von denen das eine vom Takt, von den Tempi und ihrem Ausdruck, das andere vom Gebrauch der Züge, das dritte vom Styl handelt.

Es heißt darin weiter: Eine der ersten Tugenden des Vortrags ist das Takthalten. Nur wenn der Komponist es angiebt, oder der Ausdruck es erfordert, kann man die Bewegung ändern, doch muß man sparsam damit umgehen. Die ritardamenti dürfen nicht durchgängig zur Anwendung kommen, sondern nur an Stellen, wo der <75> Ausdruck eines schmachtenden oder die Leidenschaft eines bewegten Gesanges eine veränderte Bewegung fordern.

Eine Erweiterung des technischen Stoffes tritt in der Erfindung der Pedale auf, die in den älteren Schulwerken natürlich unbesprochen bleiben mußten. Wie es denn in der Natur der Sache liegt, wurde die Neuheit des Reizes Anlass, den Pedalen eine größere Ausdehnung und Ausbildung zu gewähren als heut zu Tage, wo ihre Zahl auf zwei, zuweilen sogar nur auf eins beschränkt wird. Die Zeit nach Adam erblickte oft deren 6 bis 7. - Die in Rede stehende Schule erwähnt deren 4. Nämlich:

  1. Das Fortepedal (unser heute mit Ped. bezeichnetes). Es wird bei der Fortdauer derselben Harmonie und bei langsamem Tempo genommen; auch muß es piano behandelt werden und paßt für harmonischen Gesang mit lang gehaltenen Tönen, z.B. pastorali, in zärtlichen, schwermüthigen Arien, Romanzen, religiösen Kompositionen.
  2. Der Lauten- oder Harfenzug. Dieser ist für schnelle, chromatische Gänge, für alle rein und nett vorzutragenden Stellen. Eben die Trockenheit des hierdurch entstehenden Tones hebt die Rundheit einer Stelle heraus und macht sie kräftig.
  3. Der Pianozug. Herrlich und wahrhaft himmlisch ist er, verbunden mit dem zweiten. Wieder mit dem Fortezug zusammengenommen, kann er die Harmonika völlig wiedergeben, deren Klang so mächtig auf unsere Fibern wirkt.
  4. Der vierte Zug an den großen Pianofortes gehört nur für das Piano, das crescendo und diminuendo.

Diese Angabe der Pedale ist für den, welcher ihren Mechanismus nicht aus eigener Anschauung noch in der Erinnerung trägt, unzureichend, wofern es sich im historischen Interesse darum handelt, über ihre Wirkung klar zu werden. Wahrscheinlich wurde der zweite Zug gebildet, indem sich eine Tuchleiste zwischen die Hämmer und <76> die Saiten legte, und der dritte dürfte unserer Verschiebung gleichen. Die Angabe des vierten Zuges ist unzureichend. -

Der Verfasser fährt nun an einer anderen Stelle also fort: "Der reife Schüler muß sich einen eigenen Styl schaffen und nicht sklavisch andere Künstler nachahmen. Es giebt Styl in zweierlei Beziehung: 1. als Art des Vortrags 2. als Kunst, einem Stück den schicklichen Ausdruck zu geben. Das Erste bezieht sich auf das Mechanische, das Zweite auf die Empfindung oder den Ausdruck. Hinsichtlich des letzteren ergeben sich folgende Fingerzeige.

Das Allegro verlangt einen glänzenden, bald majestätischen, bald belebten und feurigen Vortrag: es setzt in Staunen und Begeisterung. Das Adagio hingegen muß in gehaltenen Tönen fortgehen, zuweilen traurig, oft schwermüthig. Es unterbricht das lebhafte Vergnügen, welches das Allegro gab, wirkt mächtiger auf unsere Fibern, erweckt unsere Empfindung und zugleich das Gefühl des Schmerzes. Das Presto zerstreut alle diese Eindrücke: lebhaft, lustig giebt es uns etwas Gefälliges zu hören und kehrt unter mancherlei Gestalten wieder. Leichtigkeit und Grazie behält es; wenn ihm zuweilen Klagetöne entschlüpfen, so ist es nur, um unsere Erwartung durch kunstreiche Uebergänge schöner zu überraschen." Hierauf folgen mehrere Unterarten der gegebenen Formen, wonach es weiter heißt: "Jeder Komponist muß nach seinem Charakter vorgetragen werden, der eine mit tiefem Gefühl und kräftiger Darstellung, der andere mit lustiger, empfindsamer, oft grillenhafter Stimmung, stets feurig, mit Geist und Feinheit des Vortrages usw."

Es ergiebt sich mithin, wollen wir noch ein Gesammturtheil aussprechen, daß, außer den technischen Erweiterungen, das Werk in seiner Darstellung durch ein gewisses Streben nach einer poetischen Diction von einer Wärme für seinen Stoff belebt ist, der anregend wirken soll. Hierdurch unterscheidet es sich von den älteren Schulwerken, bekundet jedoch, nur in dem zuerst erwähnten Punkte <77> einen Fortschritt. Der zweite hat, Bach's trockener, oft das Negative nur berührender, Türk's breitausgelegter Darstellung gegenüber, nur formelle Vorzüge namhaft zu machen. Inhaltlich wird im ganzen nur einiges Neue gegeben. Die Phrasen streben nach einer schwunghaften Diction, entbehren aber, wo es auf Unterscheidung inhaltlicher Momente ankommt, oft des allergeringsten schlagenden und klaren Gegensatzes. Andererseits knüpfen sie nur an Aeußerlichkeiten an, um Lehren zu geben, die durchaus allgemeinerer ästhetischer Begründung bedürfen, und die in dieser Form nicht einmal die Fülle des von Bach aufgesammelten Stoffes haben. Von größerem Verdienste ist die ethische Seite, die sich in der Berufung auf höhere Kunstzwecke, auf die Komposition ausspricht. Doch so beachtenswerth dieser in den neueren Werken immer mehr sich verlierende Standpunkt sein mag, so ist doch nicht zu übersehen, daß er die Grenzen wissenschaftlicher Abscheidung in Verwirrung bringt, und daß es mehr in der Aufgabe einer Klavierschule liegt, die Rechte der Sonderkunst durch Aufzeigung ihrer Schönheitselemente zu wahren, als sie schließlich in einen allgemeineren Stoff aufzulösen, dessen Behandlung, wie die Geschichte erweist, bei weitem nicht so dankbar ist.

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