Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

S. 105 - Texterweiterung der 8. Auflage (1920)

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[Die Seitenzählung entspricht der 8. Auflage.]

L. Köhler: Der Klavierunterricht

<*106> Im wesentlichen dieselben Anschauungen vertritt naturgemäss auch desselben Verfassers gewissermassen den theoretischen Extrakt aus diesem der Praxis geweihten Werke bildendes Büchlein

"Der Klavierunterricht", Leipzig J. J. Weber 1860 (6. Aufl., 1905, bearbeitet von Rich. Hofmann),

<*107> das aber seinen hohen pädagogischen Werth behält, trotzdem es noch durchaus in den älteren Anschauungen befangen ist und demzufolge z.B. in der Ueberschätzung A. Klengels als modernen, neuerstandenen "Bach" etwas antiquiert anmuthet. Sein Werth liegt weniger in dem hier gar nicht beabsichtigten Ausbau eines logisch und streng entwickelten Unterrichtssystems, als in ausgezeichneten, von reicher eigner Erfahrung diktierten praktischen Winken und aphoristisch im II. Theile mitgetheilten "besonderen Beobachtungen".

Die Kapitel des ersten Theiles "Die Wahl der Musikstücke" mit einem "historischen Abriss der Klavierliteratur", der, für die alten und älteren Epochen ungenügend, doch für die neuere, namentlich von den Klassikern bis zu Schumann reichende Epoche, fein durchdachte und geschickt entwickelungsgeschichtlich gesponnene Richtlinien ausbaut, "Zur Unterrichtsweise", "Zur musikalischen Erziehung", "Das Vorspielen", "Das Auswendigspielen", "Vomblattspielen", "Vierhändigspielen", "Musikalisches Talent und Behandlung desselben", "Vom Ueben", "Die Unterrichtsstunde", "Klavierlehrerarten und Klavierlehrerwahl" enthalten eine Fülle ausgezeichneten pädagogischen, auf rein empirischem Wege ohne jede Anwandlung zu irgend einer physiologisch-wissenschaftlichen Begründung gewonnenen Lehr- und Lernstoffes, dem sich auch die gesunden, aber nirgends tiefer gehenden ästhetischen Exkurse und Randbemerkungen als rein aus und für die Praxis vermerkte unterordnen. Der Frage nach der mechanischen Seite des Anschlages, die in seiner "Lehrmethode", wie wir sahen, die grösste Rolle spielte, stellt er in der letzten besonderen Bemerkung "Quintessenz" die nach der geistigen als Fazit seiner klavierästhetischen Anschauungen gegenüber. Freilich zu aphoristisch und nicht ohne phrasenhafte Abschweifungen. "Das Nervenleben (S. 281) und die Technik, die Glieder und der Klaviermechanismus stehen in enger geistig und körperlich magnetischer Wechselwirkung, der Musiksinn im Stück und das Gemüt des im Spiele thätigen Künstlers elektrisiren einander" und: "Die Klaviatur hört auf, ein kalter toter Mechanismus zu sein, die Tasten werden in unmittelbarer warmer Berührung die Töne selber und nur sie fühlt der Spieler im Anschlage. Ton und Nervgefühl vermählen sich so miteinander und - der Anschlag ist der Geist, der jeden Ton nach seiner Art angiebt, weich, hart, rauh, zart, spitz, gezogen, massiv, glatt, ruhig, bebend - aus der Stimmung heraus." Alles in der Voraussetzung, dass "ein gebildeter Spieler und ein recht musikalisches Klavierstück in engster Wechselwirkung zueinander stehen". Diese engste Wechselwirkung zwischen Geist und Hand sucht Köhler noch in dem Abschnitt (S. 218) "Handgefühl" deutlicher zu machen, und weiss da kaum genug Bilder und Worte zu erfinden, die sie veranschaulichen sollen. Die Hand wird eine Person für sich, "in die sich der Spieler für jede Bewegung hineindenken muss, um sie alles recht lebensnatürlich thun zu lassen. Dabei muss die Hand sich fühlen, u. zw. [und zwar] je nach der geforderten Anschlagsart wie eine Person in schwebender Schaukel ..., sie muss auf die Tasten fallen, <*108> wie ein Kunsttänzer nach hohem leichten Sprunge auf die Ebene herabkommt" usw.

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