Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 11

[Seite 1 von 2]

zurück | weiter

Elftes Kapitel. Das Schöne der Mechanik.

Klang ist das Endziel aller Mechanik des Klavierspiels. Ihre Vollendung liegt in einer jederzeit zweckentsprechenden Tonbildung.An sich betrachtet ist sie jedoch eine Reihe von Bewegungen der Finger, der Hand und schließlich auch des Armes, die für das Auge so gut existiren, wie der Klang für das Ohr. Das Ideal verlangt in allen Theilen Vollkommenheit; warum soll es nicht auch von diesen Bewegungen, so weit thunlich, theils abgerundete Schönheit, theils ausdrucksvolle Symbolik fordern? Versuchen wir, die Grenzen eines solchen Anspruchs näher zu markiren, und dies wird uns am besten gelingen durch einen Vergleich der Klaviermechanik mit dem Tanz, als derjenigen Kunst, welche ausschließlich in der Bewegung ihr Wesen hat.

In jeder Kunst ist sowohl Inhalt als Form bestimmt durch die Natur ihres sinnlichen Ausdrucksmittels. Dies letztere ist für <253> den Tanz die Bewegung des ganzen Körpers. Gesten und Mienenspiel sollen dazu dienen, theils factische Vorgänge, theils seelische Zustände darzustellen; und sie können es auch bis zu gewissem Grade. Doch behält ihre Symboliketwas zu äußerliches, um der Seele bis in ihre feinsten Regungen folgen zu können. In dem Maaße nun, als die Tanzkunst damit an inhaltlicher Bestimmtheit verliert, wird sie die Rücksicht auf Schönheit der Form, Anmuth der Bewegung in den Vordergrund stellen und somit mehr für das Auge als für das Gemüth existiren.

Die Thätigkeit, zu der sie die Glieder des Körpers herausfordert, entfernt dieselben ungleich weniger von ihrer natürlichen Bestimmung, verlangt eine weit geringere Bereicherung ihrer angebornen Fähigkeiten, als die Mechanik des Klavierspiels. Der letzteren bereitet die Ueberwindung des Naturstoffs,die Durchführung einer einheitlichen Idee in einem außerordentlich complicirten System von Bewegungen unendliche Schwierigkeiten. Je mannigfaltiger aber ein Gebiet ist, um so höher ist auch die schönheitliche Vollkommenheit, welche darin den Gedanken der Einheit darstellt.

[Die 8. Auflage enthält vom Beginn des Kapitels an einen anderen Text]

* * *

zurück | weiter
nach oben