Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 17

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Wir gehen zum zweiten Pedal, zur Verschiebung, über. - Ihr Hauptzweck ist die Bildung des leisesten piano. Zwar wird auch die Qualität des gewöhnlichen Klaviertons bei den meisten Instrumenten in eine weichere, harfenähnliche Farbe verwandelt, doch ist dies nicht überall der Fall, und der genannte Zweck ist der hauptsächlichste. Czerny sagt freilich mit Recht, daß ein leises Spiel ohne Hilfe der Verschiebung ehrenwerther sei, und muß hier vor allen Dingen auf die Bildung eines solchen - wie auch früher bereits geschah - gedrungen werden. Für den Vortrag bleibt indeß für viele Fälle der Vortheil der Verschiebung unbezweifelt; es würde sich bei leisestem Spiele guter Mechanik doch nie der Schmelz erreichen lassen, den eben dasselbe Spiel mit Hilfe der Verschiebung gewönne.

Das in Rede stehende Pedal wird in zwiefacher Weise angewendet, entweder mit dem andern zugleich, oder allein.

Für sich allein macht es den Ton ungemein pikant, zart - <363> ein wenig trocken - bei diesen Eigenschaften aber, wie bemerkt, auch in der Qualität weicher als den gewöhnlichen Klavierton. Einestheils wird also der bloß sinnliche Reiz der Abwechslung gestatten, gewisse Stellen - stärkeren gegenüber - in dieser Farbe zu geben. Bei zwei- und mehrmaliger Wiederholung derselben oder ähnlicher Figuren, beim leisesten Ausathmen des Decrescendo, auch des Rallentando, kann die Verschiebung zur Abwechslung, sowie zur Abschwächung des gewöhnlichen Pianissimo noch hinzugenommen werden. Das bloß Sinnliche wird fast immer in das Innerliche umschlagen, denn ein Piano, wie es in der genannten Weise erreicht wird, ruft allemal die Phantasie zu Ausschweifungen in ein ätherisches Reich. - Ein feiner Sinn wird aber doch den äußeren Effekt vom innerlichen unterscheiden.

Nimmt die Verschiebung das andere Pedal mit hinzu, so wird das an sich Feine, Pikante mit jenem Hauche noch umschleiert, der die scharfen Grenzen des Tonumrisses ein wenig verwischt. Es kommt wieder eine andere Klangfarbe zur Erscheinung, die ein wenig romantisch sentimentaler ist als die vorige. Die feinen Linien verzittern und verschwimmen. Auch dieser Reiz hat seinen poetischen wie sinnlichen Werth. Er wird meist ganz eben da Berechtigung haben, wo sie der vorigen zuerkannt wurde; es kommt nur auf den Totalgeist des Werkes oder auf die Auffassung an, die, vorausgesetzt, daß sie der Einheit nicht entbehrt, zu beiden Weisen oft gleiches Recht hat. - Am häufigsten kommen beide Pedale vereinigt bei harmonischen Begleitungsfiguren im Basse vor, zu denen die Oberstimme eine Melodie giebt. Hier ist der sinnliche Wohllaut der Bestimmungsgrund; solche Bässe haben etwas in ihrer Weichheit und Zartheit sehr Ueppiges und Schwelgerisches. Es fehlt aber auch nicht an ächt poetischen, malerischen Bestimmungsgründen. Leises, Verschwimmendes - vereint mit der weichen Tonbeschaffenheit - giebt immer einen duftigen Hauch, macht das Melancholische <364> noch brütender, innerlicher, das Heitere lieblicher, das Zarte ätherischer. - Der Reiz der Verschiebung allein wird im ganzen aber doch die Mehrzahl der Berechtigungen für sich haben.

Die Vereinigung beider Pedale ist ein wohlfeileres Vortragsmittel, da es in der Modernität durch die Häufigkeit des ebengenannten Falles kaum noch das Nachdenken des Spielers herausfordert und fast ins Triviale umschlägt. Soll die Verschiebung allein richtig wirken, so wird der Spieler schon mehr denken müssen. - Er wird für Einförmigkeit einen stets wachen Sinn haben und, wo er sie entdeckt, für ein milderndes Aushilfemittel bedacht sein müssen. Da ereignet es sich oft, daß auch die Verschiebung nur momentan anzuwenden ist, ganz wie das Pedal. Oft wird ein leises, kurzes Andrücken derselben einen feinen Hauch von Abwechslung in eine gleichmäßige Stelle bringen; zuweilen wird sie nur 2 bis 3 Noten anders zu färben haben. Wir bringen hierzu sogleich zwei Beispiele.

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