Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 17

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Wir sind hiermit zum Schlusse des Vortragstheils gelangt. Alle übrigen Ausdrucke, deren Zahl allerdings bedeutnd ist, beziehen sich auf Modificationen der Kraft oder der zeitlichen Bewegung. Die Lehre mußte sich mit der Besprechung der Hauptformen begnügen, die in der Accentuation, dem Crescendo und Decrescendo, dem Accelerando und Rallentando, dem Takte und dem Tempo im Allgemeinen, sowie in den Anschlags- und Klangfarben erledigt wurden. Die Erkenntniß dieser Hauptformen liefert das Material für <374> alle Nebenformen; die letzteren mischen die genannten Faktoren nur unter einander in verschiedenen Verhältnissen und bringen in den meisten Fällen Bestimmungen von inhaltlicher Natur hinzu. So z.B. pomposo, grandioso, con affetto, con passione, flebile, inconsolabile, leggiermente, estinto, amabile usw. Alle dergleichen Begriffe reducirt der denkende Verstand auf die im vorigen besprochenen Hauptformen, z.B. pomposo auf forte und nicht zu schnelle, nach Umständen marschartige Bewegung; flebile auf unruhige Bewegung mit bald leisem, bald lautem Ausdruck; leggiermente auf piano mit etwas hochperlendem Anschlag u. dergl. Solche Begriffe haben dadurch zwar nicht ihre volle Erledigung, denn der Hauptbestand derselben ist die lyrische, innerliche Bestimmtheit; sie haben aber die Mittel in den Händen, die letztere sinnlich zur Darstellung zu bringen. - Um dem anderen Faktor der innerlichen poetischen Anregung Genüge zu thun, kann die Lehre nicht auf die Ausdrücke im einzelnen eingehen; dies führte zu unnöthiger Weitläufigkeit und zu Wiederholungen. Gleichwohl fühlt sie sich gedrungen, ihrem Prinzipe consequent, welches einen guten Theil unlehrbaren Stoffes dieser Vergeistigung an mehreren Stellen einräumen mußte, dem hier in Rede stehenden Faktor eines Theiles wenigstens gerecht zu werden. Dies kann aber nur im Allgemeinen geschehen; einerseits schützt dies vor unnöthiger Breite, andererseits leitet es die Anschauung zu jenen Urbegriffen hin, die mehr Förderung und Nutzen bringen, als mnemonisches Wissen. Zugleich erledigt sie damit die im vierten Kapitel vorgeführte Aufgabe in demjenigen Umfange, zu dem sie in der Form dieser Specialästhetik verpflichtet ist.

Bevor sie jedoch zu diesem Theile, der sich als Schlußkapitel in dem Sinne eines Anhangs an das Vorhergehende anschließt, übergeht, hat sie noch von einem Begriffe Rechenschaft abzulegen, der im früheren mehrfach anticipirt werden mußte, dem aber hier <375> erst Genüge geleistet werden kann. Es ist dies diejenige Idee in ihrer geschlossenen Einheitlichkeit, von der im besondern und einzelnen die große Zahl der verschiedenen Vortragsnüancen ihre Bestimmung erhielt.

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