Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 1, Kap. 10 [Seite 6 von 20]

zurück | weiter
Der Affektgehalt der Stilebenen

<72> §. 23. Grosse und hertzhaffte Gemüther sind gedultig; kleine und blöde Geister können nichts leiden. Leichtsinnige Leute lassen sich sehr bald in den Harnisch jagen, und sind so schnell zum Zorn zu bewegen, als die Wetterhäne oder Wind=Fähnlein auf den Dächern zum umdrehen. Summa der Zorn ist eine recht=närrische Gemüths=Bewegung. Das klingt niedrig genug, und braucht keiner hohen Vorstellung.

§. 24. Furcht und Schrecken sind ja wol die allereinfältigsten Leidenschafften von der Welt, und verdienen eigentlich nichts weniger, als etwas hohes in ihrem Ausdruck. Diese unglückliche Regungen findet man leider! bey allen Geschöpffen, auch bey denen, die sonst keine Empfindung zu haben scheinen und verachtet sind. Nichts kan aber niedriger seyn, als die elende Menschen=Rache, welche so wenig hohes an sich hat, daß sie nur in den allerverworffensten Hertzen ihren Sitz aufschlägt.

§. 25. Kommen wir auf die Verzweiflung, so ist dieselbe ja eben das äusserste Ende, wohin die Furcht sich verlauffen kan: einfolglich müste man sie auf den höhesten Gipffel der Traurigkeit setzen, wenn sie ja was hohes haben sollte. Die Welschen nennen dannenhero mit Recht alle boshafftige und gefährliche Leute Huomini tristi, deren Seele gantz niedergeschlagen und verlohren ist.

§. 26. Ich will inzwischen nicht in Abrede seyn, daß diese und dergleichen Leidenschafften, wenn man sie in der Ton=Kunst recht ausdrücken will, etwas starckes, wildes, hitziges und schwärmendes erfordern; wie denn die Gemüths=Bewegungen der Rache, des Hochmuths &. so beschaffen sind, daß sie, nach Unterschied der Personen, zwar den Schein eines hohen stoltzen Wesens haben, ob sie gleich die Krafft desselben verleugnen. Wobey man auch zustehen muß, daß diese angemaassete Hoheiten in der Rede= und Ton=Kunst (doch mit grossem Unterschied von den wahren) zuweilen etwas erhabenes erforden; aber das ist noch lange nichts prächtiges, majestätisches &.

§. 27. Im Zorn und Zanck schickte sich ein Meckern und Gekreische; im Schrecken eine ungleiche, unterbrochene, entsetzliche, zitternde Schreib=Art; bey der Rache etwas vermessenes; bey der Verzweiflung etwas rasendes; bey dem Hochmuth etwas schwülstiges sehr wol; wenns nur nicht gar zu natürlich heraus käme, und einen Eckel erweckte: aber alles das ist nichts hohes.

§. 28. Wer hergegen Andacht, Gedult, Fleiß, Begierde &. zur mittlern Schreib=Art verweisen wollte, den mögte mancher wol nur für etwas mittelmäßig=andächtig, sittsam, gedultig, fleißig und begierig halten. Es kömmt ja mit der höhesten und nachdrücklichsten Gemüths=Bewegung auf und ausser der Welt, nehmlich mit der Liebe, die Begierde in sehr vielen Dingen überein, wie mag ihr denn die Mittel=Strasse angepriesen werden? Es ist wahr, nach Beschaffenheit der begehrten Sache ist die Begierde auch klein oder groß, hoch oder niedrig, und so weiter; allein so ist es fast mit allen Regungen bewandt.

§. 29. Der Fleiß kan eines Theils viel erhabnes, andrer Seits etwas geringes zum Zweck haben. Im letzten Fall wäre es gewisser maassen eine Arbeit im finstern, (obscura diligentia) und verdiente nicht einmahl in der Mitte, sondern gar unten an zu stehen. Bey der Gedult ist zwar nichts hochtrabendes, aber allzeit was edles: und von der Andacht weiß ein ieder, daß sie dazu dienet, die Seele empor zu ziehen.

§. 30. Endlich müsten ja die armen Tantz=Lieder, entweder alle, oder doch die meisten, was bettelhafftes, sclavisches, feiges, trostloses, niederträchtiges, bäurisches, dummes und grobes an sich haben, wenn diese Eigenschafften des niedrigen Styls in ihnen anzutreffen wären. Niedrig und niederträchtig sind aber sehr unterschieden, und wenn wir ja die albernesten Bauren= nicht die sinnreichen Land=Täntze, Country=Dances, davon ausnehmen sollten, so würde dennoch wol niemand in einem lebhafften Menuet die Bettler, in einem freudigen Rigaudon die <73> Sclaven, in einer heroischen Entree die feigen Memmen, in einer lustigen Gavote die trostlosen, oder in einer prächtigen Chaconne die niederträchtigen Seelen suchen.

§. 31. Trinck= und Wiegen=Lieder, Galanterie=Stücklein &. darff man eben nicht immer ohne Unterschied läppisch nennen: sie gefallen offt besser, und thun mehr Dienste, wenn sie recht natürlich gerathen sind, als großmächtige Concerte und stoltze Ouvertüren. Jene erfordern nicht weniger ihren Meister nach ihrer Art, als diese. Doch, was soll ich sagen? Unsre Componisten sind lauter Könige; oder doch von Königl. Stamme, wie die Schotländischen Ackers=Knaben. Um Kleinigkeiten bekümmern sie sich nicht.

§. 32. Daß aber, wie man sagt, die elendesten Melodien, wenn sie wol heraus gebracht werden, schön ins Gehör fallen sollten, ist der Natur und Wahrheit ungemäß. Mancher Liebhaber bunter Noten und Verbrämungen siehet irgend eine ungekünstelte Melodie für elend an; die es doch nur vor elenden Augen und im Grunde nicht ist. Ein böser Baum kan keine gute Früchte tragen, man verpflantze ihn wie man wolle. Die gescheuteste Bewerckstelligung thut hiebey nur so viel, als ein geschickter Gärtner, der ein gesundes Gewächs durch fleißige Pflege zwar verbessern, wenns aber an ihm selbst untauglich ist, nimmer zu etwas rechtes bringen kan. Die schönsten Melodien zu verderben, dazu wissen einige Spieler und Sänger bald Mittel; die elendesten aber schön zu machen, ist ihnen, und auch aller Welt Künstlern, unmöglich.

§. 33. Ich will meine hier angeführte Gedancken über die Schreib=Arten in der Music niemand aufdringen, sondern sie nur als eine Kunstübung darlegen; iedem aber seine Meinung gerne lassen; nur habe mir die Freiheit genommen, was ich von der Sache halte, unmaaßgeblich an den Tag zu legen, ohne deshalben den geringsten Streit zu suchen, vielweniger fortzusetzen.

zurück | weiter
nach oben