Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 1, Kap. 10 [Seite 13 von 20]

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Der Instrumentalstil

§. 73. Der Instrument=Styl, in so fern er der Schau= und Singbühne sehr starck dienet, ist hier wiederum, in Ansehung der Vorwürffe und Umstände, gantz andrer Natur, als in Kirchen=Musiken. Man darff nur, solchen Unterschied recht augenscheinlich zu erkennen, eine kräfftige und tonreiche Kirchen=Sonate von Rosenmüller, mit einer hüpfenden und leicht=bekleideten Opern=Intrada von Kaiser zusammen halten. Der erste setzte selten weniger, als zwölff reine und besondere Stimmen, z.E. vier bis fünf Posaunen [FN: ...], eben so viel hohe und tiefere Geigen, ein Paar Cornetten oder Oboen samt zugehörigen Bässen; der andre nahm selten (in Opern=Sachen) mehr, als vier, und arbeitete mit denselben häuffig in Octaven und Einklängen, daß die meiste Zeit nur zwo oder drey, offt aber nur eine Stimme, doch auf vielerley Instrumenten, hervorgebracht wird. Er that daran recht und wol; jener auch: denn in ihrer Art sind sie beide vortrefflich. Es ist nur um den Unterschied des Styls zu zeigen, daß wir von ieder Sorte ein Paar Proben hersetzen wollen. Sie kommen mir vor, eines Theils, als frische, blaue Elb=Lächse, und andern Theils, als im Rauch vergüldete Fläck=Heringe aus der Ost=See: diese kitzeln die Zunge, und ihr derbes Wesen erwecket Lust zum Trunck; jene hergegen sind ansehnlich, und voller milden, safftigen Fleisches; obgleich nicht so reitzend. §. 74. Den Instrument=Styl in Kirchen und Opern desto besser zu unterscheiden, folget hier der <85> Anfang einer geistlichen Sonate von Rosenmüller.

[Notenbeispiel S. 85, Nr. 1]

§. 75. Ich kan mich nicht entbrechen, bey diesem reinen, fünffstimmigen Satze die schöne Sing=Art in ieder besondern Stimme zu bewundern. Die Ober=Partie könnte schwerlich besser einhergehen, wenn sie auch als ein Solo da stünde. Die zwote hat absonderlich in den letzten Täcten so viel artiges und modernes, als wenn sie diesen Tag erst verfertiget, und ohne die geringste Absicht auf die übrigen vier zu Papier gebracht worden; da sie doch über funfzig Jahr alt ist. Nichts aber kan eine angenehmere und beweglichere Melodie führen, als hier der Alt thut, und zwar von derjenigen Note an zu rechnen, über welcher das Sternlein stehet. Was endlich den Tenor und Baß betrifft, so zeiget ihre freundliche Gegenbewegung die grösseste Bescheidenheit an, so man verlangen mag, ohne Zwang, Verbrämung und Künsteley gantz natürlich, gar nicht höltzern. Hier mögte man zu manchem sagen: Gehe hin, und thue desgleichen.

§. 76. Anfangs=Noten einer Opern=Intrade von Kaiser.

[Notenbeispiel S. 85, Nr. 2]

<86> §. 77. Man siehet wol, daß der Verfasser hier, ohne Zuthun der wesentlichen Trompeten und Paucken, mit den andern Instrumenten eine sehr lebhaffte Nachahmung solcher kriegerischen Instrumente hat vorbringen wollen, und daß er es sehr löblich bewerckstelliget hat. An dem Orte, +), wo die Vierstimmigkeit eintritt, ist auch alles, was man wünschen kan. In dem, was die Melodie betrifft, herrschet die Ober=Partie, und die andern richten sich nach ihr, als in einer Monarchie. Es ist alles munter, anlockend, und fällt vernehmlich ins Gehör. So viel von diesem handgreifflichen Unterschiede des Instrument=Styls.

§. 78. Es kan seyn, daß auch in theatralischen Sachen manches Vorspiel mit Instrumenten aufstößt, das ernsthafft genug aussieht und klinget; wie denn Lully in dem Instrument=Styl seiner Opern überaus fleißig und starck gewesen ist: Allein es wird doch nicht den Reichthum haben, noch diejenige innerliche Wichtigkeit besitzen, die demselben Styl in der Kirche eigen sind. Wiederum kan es auch gar wol geschehen, daß in geistlichen Dingen manche Symphonie vorkömt, die einen sehr fröhlichen Muth gibt, nachdem es die Worte und Umstände mit sich bringen, dazu man vorspielen läßt, als z.E. Singet frölich GOtt u.d.gl.; allein es muß doch nicht die Ausgelassenheit und das wilde Wesen haben, die man dem Schauplatz zu gute hält.

§. 79. Man bedarff auch dergleichen Gründlichkeit bey den theatralischen Sätzen eben nicht; ja, es läufft, so zu reden, einiger maassen wieder die Eigenschafft und Absicht der Schauspiele, deren Abzeichen doch iederzeit etwas spielendes und erdichtetes bleibet, welches keinen grossen, ernstlichen Eindruck; sondern nur eine nützliche und dabey mehr ergötzende, vorübergehende, als lange einnehmende Vorstellung zu Wege bringen soll: damit zwar die Gemüther, durch Anfüllung der Augen und Ohren, gerühret und beweget, doch nicht im Ernste gantz aus ihrem Sitze gebracht, und allerhand offt wiedrigen Leidenschafften aufgeopffert werden. Die Empfindungen, so die Schaubühne ertheilet, sind bisweilen nicht unangenehm; aber sie währen nur einen Augenblick, und können keinen beständigen Eindruck verursachen: weil ein ieder weiß, daß die Sache erdichtet ist. Hiebey kan ein Aussenschein, oder etwas gläntzendes und funckelndes, obs gleich kein Gold ist, mehr ausrichten, als etwas dichtes, festes und ein mühsames Wesen.

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