§. 21. Wir kommen nun zu einer besondern Gattung des Singens, welche eigentlich keine gewöhnliche oder förmliche Melodie hat; aber ihren eignen Styl gantz allein erfordert, nehmlich zum
IV. Recitativo, welcher zweierley ist:
ohne und mit Instrumenten: im letzten Fall heißt er, Vorzugs=Weise, ein Accompagnement, eine Begleitung.
§. 22. Diese Art zu singen hat, wie bekannt, die Freiheit, daß sie sich ziemlich nach der gemeinen Ausrede richtet, und mit allerhand Ton=Arten ungebunden spielet, darin herum wandert, anfängt oder schliesset, wie und wo sichs am besten schickt. Der Recitativ hat wol einen Tact; braucht ihn aber nicht: d.i. der Sänger darff sich nicht daran binden. Wenn es aber ein Accompagnement, eine Begleitung mit verschiedenen Instrumenten ist, so hat man zwar, um die Spielende im Gleichgewicht zu halten, noch etwas mehr Achtung für die Zeitmaasse, als sonst; iedoch muß solches im Singen kaum gemercket werden. Dieses verstehen wir vom welschen Recitativ, und von solchem teutschen, der nach welscher Art gesetzet wird.
§. 23. Die Frantzosen hergegen nehmen in ihrem einländischen Recit fast alle Tact=Arten eine nach <214> der andern vor, und meinen durch solche Veränderung den Wort Füssen, die sehr ungleich ausfallen, zu Hülffe; anbey ihrer natürlichen Aussprache desto näher zu kommen: allein es scheinet sie irren sich, und machen sothanen Gesang nur desto gezwungener und unvernehmlicher, weil sie in ihrer Sprache fast gar keine Länge oder Kürtze der Sylben, auf eine kunstmäßige Art, beobachten; daher sie desto weniger nöthig hätten, ihren Recit nach dem Tact, oder vielmehr nach allerhand Täcten und deren genauer Führung abzusingen.
§. 24. Indessen ist es keine so geringe Sache um einen guten Recitativ, wie mancher wol meiner; denn seine seltene Eigenschafften sind diese:
Kurtz, durch nichts verräth sich und seine Ungeschicklichkeit ein Componist mehr, als durch einen preshafften und hanebüchenen Recitativ, sowol als seine Thorheit durch einen gar zu sehr gekünstelten. Das ist eine offtbewährte Wahrheit.