Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 2, Kap. 13 [Seite 28 von 41]

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Angloise

§. 109. Wiederum eine sonderbare, zu vielen andern Stücken nützliche Melodien=Gattung, welche zu gantz fremden Einfällen Anlaß gibt, ist

<229> IX. Die Angloise, der Engländische Tantz, dahin gehören:

Was vortreffliches und dabey seltsames haben diese Tantz=Melodien an sich, welches diejenigen Büchlein bezeigen, die von Zeit zu Zeit in Amsterdam bey Jeanne Roger zum Vorschein kommen, und Sammlungen enthalten. Daselbst kan sich ein jeder von der Gestalt solcher Melodien gute Nachricht holen, und erfahren, daß sie nicht eben aus rückenden Noten bestehen, sondern viel weiter um sich greiffen, schöne fliessende Melodien führen; die Klang=Füsse ungemein beobachten; voller starcken Bewegungen stecken, und in der Ton=Kunst recht=artige Sonderlinge sind.

§. 110. Die Haupt=Eigenschafft der Angloisen ist, mit einem Worte der Eigensinn; doch mit ungebundener Großmuth und edler Guthertzigkeit begleitet. Wer nun diese Gemüths=Bewegungen, absonderlich die erste vorzustellen hat, der lasse sich die Untersuchung solcher Melodien empfohlen seyn, die ihm dazu Anleitung geben, und den choraischen Styl, wie ihn die besagten Country=Dances, zum Grunde legen.

§. 111. Was die Ballads betrifft, so siehet man leicht, daß der Nahm vom Ballet, oder vom Tantz insgemein, herkömmt; aber eigentlich sind es in England melismatische Gesänge, Oden oder Lieder, mit vielen Strophen, die zwar vornehmlich zum Singen gesetzt, doch auch bisweilen zum Spielen und Tantzen gebraucht werden, gleich den frantzösischen Vaudevilles oder Gassenhauern. Man hat von den so genannten Ballads eine ziemliche Sammlung, unter dem Titel: Pillen wieder die Traurigkeit [FN: ...]: worin eine Menge solcher Lieder gedruckt stehen.

§. 112. Die Hornpipen sind scotländischer Abkunfft, und haben bisweilen so was ausserordentliches in ihren Melodien, daß man dencken mögte, sie rührten von den Hofcompositeurs am Nord= oder Süd=Pol her. Wer sie indessen zu untersuchen die Mühe nehmen, und, was er daraus begriffen, zu rechter Zeit wol anwenden will, kan auch schon seinen Nutzen daraus ziehen. Man spielet sie in Scotland auf einem Instrument, das unserer Sackpfeiffe einiger maassen ähnlich ist, und von den Frantzosen Musette genannt, auch nicht so verächtlich gehalten wird, als man wol meinen sollte. Ich will doch zur Probe etwas weniges von solchem scotländischen Tantze hersetzen, weil man sonst in keinem Buche Nachricht davon findet.

[Notenbeispiel S. 229]

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