Quantz: Anweisung - Einleitung

Einleitung. Von den Eigenschaften, die von einem, der sich der Musik widmen will, erfodert werden.

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<1> [...]

<2> §. 3. Die Wahl der Lebensart, und der Entschluß, diese oder jene, und folglich auch die Musik zu ergreifen, muß mit großer Behutsamkeit angestellet werden. Die wenigsten Menschen haben das Glück derjenigen Wissenschaft oder Profeßion gewidmet zu werden, wozu sie von Natur am allermeisten ausgeleget sind. Oefters rühret dieses Uebel aus Mangel der Erkenntniß, von Seiten der Eltern oder Vorgesetzten, her. Diese zwingen nicht selten die Jugend zu dem, woran sie, die Vorgesetzten, selbst nur einen Gefallen haben; oder sie glauben diese oder jene Wissenschaft oder Profeßion bringe mehr Ehre, oder größere Vortheile, als eine andere; oder sie verlangen, daß die Kinder eben dasjenige erlernen sollen, wovon die Eltern Werk machen; und zwingen sie also eine Sache zu ergreifen, wozu sie, die Kinder, weder Lust noch Geschicke haben. Man darf sich also nicht wundern, wenn die ausserordentlichen Gelehrten, und die besonders hervorragenden Künstler so rar sind. Gäbe man aber auf die Neigung junger Leute fleißig Achtung; suchte man zu erforschen, womit sie sich aus eigenem Antriebe am allermeisten zu beschäftigen pflegen; ließe man ihnen die Freyheit, selbst zu wählen, wozu sie die größte Lust zeigen: so würden sowohl mehr nützliche, als glückliche Leute in der Welt gefunden werden. [...]

[...]

<5> §. 7. Zu einem geschikten und gelehrten Musikus wird nun [...] ein besonder Talent erfodert. Unter dem Worte: geschikter Musikus, verstehe ich einen guten Sänger oder Instrumentisten: ein gelehrter Musikus hingegen heißt bey mir, einer der die Composition gründlich erlernet hat. Weil man aber nicht lauter Helden in der Musik nöthig hat; und auch ein mittelmäßiger Musikus einen guten Ripienisten oder Ausführer der Ausfüllungsstimmen abgeben kann: so ist zu merken, daß zu einem, der auf nichts weiter sein Absehen gerichtet hat, als einen tüchtigen Ripienisten vorzustellen, ein so besonder Talent eben nicht erfodert werde: Denn wer einen gesunden Körper, und gerade und gesunde Gliedmaßen hat; dabey aber nur nicht dumm, oder blödes Verstandes ist; der kann das, was man in der Musik mechanisch nennet, und was eigentlich zu einem Ripienisten erfodert wird, durch vielen Fleiß erlernen. Alles was hierbey zu wissen nöthig ist, z.E. das Zeitmaaß; die Geltung und Eintheilung der Noten, und was sonst mit diesen verknüpfet ist; [...] kann durch Regeln, welche man deutlich und vollständig erklären kann, begriffen werden. [...]

<6> §. 8. Wer in der Musik vortrefflich werden will, muß [...] eine unermüdete unaufhörliche Lust, Liebe, und Begierde, weder Fleiß noch Mühe zu ersparen, und alle, bey dieser Lebensart vorkommenden Beschwerlichkeiten, standhaft zu ertragen, bey sich empfinden. Die Musik giebt selten solche Vortheile, als andere Wissenschaften geben: und sollte es auch noch einigen dabey glücken, so ist doch das Glück mehrentheils der Unbeständigkeit unterworfen. Die Veränderung des Geschmacks, das abnehmen der Kräfte des Leibes, die verfliegende Jugend, der Verlust eines Liebhabers von welchem das Glück vieler Musikverständigen abhänget, sind alle vermögend, den Wachstum der Musik zu verhindern. Die Erfahrung bestätigt dieses zur Gnüge; wenn man nur etwas über ein halbes Jahrhundert zurückdencket. Wie viele Veränderungen sind nicht in Deutschland in Ansehung der Musik vorgefallen? An wie viel Höfen, in wie viel Städten ist nicht ehedem die Musik im Flor gewesen, so daß so gar daselbst eine gute Anzahl geschickter Leute erzogen worden; wo in gegenwärtigen Zeiten in diesem Puncte nichts als Unwissenheit herrschet. An den meisten Höfen, welche ehemals noch, theils mit sehr berühmten, theils mit ziemlich geschikten Leuten versehen gewesen, nimmt es itziger Zeit leider überhand, das die ersten Stellen in der Musik, mit solchen Menschen besetzet werden, die in einer guten Musik kaum die letzte Plätze verdieneten; mit Leuten, denen das Amt zwar bey Unwissenden, die sich durch den Titel blenden lassen, einiges Ansehen zu wege bringt; welche aber weder dem amte Ehre machen, noch der Musik Vortheil schaffen, <7> noch das Vergnügen derer, von denen ihr Glück abhängt, befördern. [...] Die finstern Köpfe unter den neuen Weltweisen halten es nicht, wie die Alten, für eine Nothwendigkeit, dieselbe [d.h. Kenntnis über die Musik] zu wissen. Bemittelte Leute begeben sich selten dazu: und Arme haben nicht das Vermögen gleich anfangs gute Meister zu halten, und an solche Orte zu reisen, wo Musik von gutem Geschmacke im Schwange geht. [...]

§. 9. Wer Talent und Lust zur Musik hat, muß um einen guten Meister in derselbe nbekümmert seyn. Es würde zu weitläuftig seyn, wenn ich von den Meistern in allen Arten der Musik hier handeln wollte. Deswegen werde ich mich nur, um in Beyspiel zu geben, bey dem aufhalten, der zur Erlernung der Flöte erfodert wird. [...]

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