Quantz: Anweisung - Kap. 11

Das XI. Hauptstück.
Vom guten Vortrage im Singen und Spielen überhaupt.

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<101> §. 1. Der musikalische Vortrag kann mit dem Vortrage eines Redners verglichen werden. Ein Redner und ein Musikus haben sowohl in Ansehung der Ausarbeitung der vorzutragenden Sachen, als des Vortrages selbst, einerley Absicht zum Grunde, nämlich: sich der Herzen zu bemeistern, die Leidenschaften zu erregen oder zu stillen, und die Zuhörer bald in diesen, bald in jenen Affect zu versetzen.

[...]

<102> §. 7. Die Vernunft lehret, daß wenn man durch die bloße Rede von jemanden etwas verlanget, man sich solcher Ausdrücke bedienen müsse, die der andere versteht. Nun ist die Musik nichts anders als eine künstliche Sprache, wodurch man seine musikalischen Gedanken dem Zuhörer bekannt machen soll. Wollte man also dieses auf eine dunkele oder bizarre Art, die dem Zuhörer unbegreiflich wäre, und keine Empfindung machte, ausrichten: was hülfe alsdenn die Bemühung, die man sich seit langer Zeit gemachet hätte, um für gelehrt angesehen zu werden? Wollte man verlangen, daß die Zuhörer lauter Kenner und Musikgelehrte seyn sollten, so würde die Anzahl der Zuhörer nicht sehr groß seyn. [...]

[...]

<104> §. 10. [...] Ein guter Vortrag muß zum ersten: rein und deutlich seyn. Man muß nicht nur jede Note hören lassen, sondern auch jede Note in ihrer reinen Intonation angeben; damit sie dem Zuhörer alle verständlich werden. Keine einzige darf man auslassen. Man muß suchen den Klang so schön als möglich herauszubringen [...] Es darf nicht scheinen als wenn die Noten zusammen klebeten. [...] Gedanken, welche an einander <105> hangen sollen, muß man nicht zertheilen: so wie man hingegen diejenigen zertheilen muß, wo sich ein musikalischer Sinn endiget, und ein neuer Gedanke, ohne Einschnitt oder Pause anfängt. [...]

§. 11. Ein guter Vortag muß ferner: rund und vollständig seyn. Jede Note muß in ihrer wahren Geltung, und in ihrem rechten Zeitmaaße ausgedrücket werden. Würde dieses allezeit recht beobachtet, so müßten auch die Noten so klingen wie sie der Componist gedacht hat. [...] Die ausgehaltenen und schmeichelnden Noten müssen mit einander verbunden; die lustigen und hüpfenden aber abgesetzet, und von einander getrennet werden. Die Triller und die kleinen Manieren müssen alle rein und lebhaft geendiget werden.

§. 12. [...]

<106> §. 13. Der Vortrag muß auch: leicht und fließend seyn. Wären auch die auszuführenden Noten noch so schwer: so darf man doch dem Ausführer diese Schwierigkeit nicht ansehen. Alles rauhe, gezwungene Wesen im Singen und Spielen muß mit großer Sorgfalt vermieden werden. Vor allen Grimassen muß man sich hüten, und sich soviel als möglich ist einer beständigen Gelassenheit zu erhalten suchen.

§. 14. Ein guter Vortrag muß nicht weniger: mannigfaltig seyn. Licht und Schatten muß dabei beständig unterhalten werden. Wer die Töne immer in einerley Stärke oder Schwäche vorbringt, und, wie man saget, immer in einerley Farbe spielet; wer den Ton nicht zu rechter Zeit zu erheben oder zu mäßigen weis, der wird niemanden besonders rühren. Es muß also eine stetige Abwechslung des Forte und Piano dabey beobachtet werden. [...]

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