Quantz: Anweisung - Kap. 18

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<288> §. 19. [...] Die Moteten von der alten Art, welche aus vielstimmig, und ohne Instrumente, im Capellstyl, gesetzeten biblischen Sprüchen, bey denen zuweilen der Cantus firmus eines Choralgesanges mit eingeflochten ist, bestehen, sind in der römischkatholischen Kirche wenig, oder gar nicht mehr gebräuchlich. Die Franzosen nennen alle ihre Kirchentücke, ohne Unterschied: DES MOTETS. [...] In Italien benennet man heutiges Tages, eine lateinische geistliche Solokantate, welche aus zwoen Arien und zweyen Recitativen besteht, und sich mit einem Halleluja schließt, und welche unter der Messe,, nach dem Credo, gemeiniglich von einem der besten Sänger gesungen, mit diesem Namen. [...]

<289> §. 20. [...]

§. 21. Ueberhaupt wird zur Kirchenmusik, sie möge bestehen worinn sie wolle, eine ernsthafte und andächtige Art der Composition, und der Ausführung erfodert. Sie muß vom Opernstyle sehr unterschieden seyn. Es wäre zu wünschen, daß solches, um den dabey gesucheten Entzweck zu erreichen, allemal, besonders von den Componisten gehörig beobachtet würde. Bey Beurtheilung einer Kirchenmusik, welche entweder zum Lobe des Allerhöchsten aufmuntern, oder zur Andacht erwecken, oder zur Traurigkeit bewegen soll, muß man Acht haben, ob die Absicht, vom Anfange bis zum Ende beobachtet, der Charakter einer jeden Art unterhalten, und nichts, was demselben zuwider ist, mit eingemischet worden sey. Hier hat ein Componist Gelegenheit, seine stärke sowohl in der sogenannten arbeitsamen, als in der rührenden und einnehmenden Schreibart, (diese ist aber der höchste Grad der musikalischen Wissenschaft,) zu zeigen.

§. 22. Man wolle nicht glauben, daß bey der Kirchenmusik lauter sogenannte Pedanterey vorkommen müsse. Die Leidenschaften, ob gleich ihre Gegenstände unterschieden sind, müssen hier sowohl, ja noch sorgfältiger als auf dem Theater, erreget werden. Die Andacht setzet ihnen nur hier die Gränzen. Ein Componist, der in der Kirche nicht rühren kann, wo er eingeschränkter ist, wird dasselbe auf dem Theater, wo er <290> mehrere Freyheit hat, gewiß noch weniger zu thun vermögend seyn. Wer aber ungeachtet einiges Zwanges schon zu rühren weis, von dem kann man sich, wenn er völlige Freyheit hat, noch viel ein Mehreres versprechen. Würde also wohl die schlechte Ausführung der Kirchenmusiken, an vielen Orten, ein hinreichender Bewegungsgrund seyn können, so gleich alle Kirchenmusiken als etwas ungefälliges zu verwerfen?

§. 23. [...]

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