Riemann: Klavierschule op. 39,1

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Kap. 11 [Seite 2 von 12]

Das Hauptgesetz für die dynamische Schattirung der Phrase ist, dass dieselbe stets nur einen Gipfelpunkt hat, bis zu welchem sie crescendo hinstrebt und von dem weg sie das Decrescendo annimmt. Der Gipfelpunkt ist stets die schwere Note eines der Taktmotive (zusammengesetzte Taktarten sind, wo die Phrasierung kürzer ist als die Takte, in einfache zu zerlegen). Volltaktig beginnende Phrasen können den Schwerpunkt zu Anfang heben und fallen dann durchweg ab, sodass sie des Crescendo gänzlich entbehren - solche Phrasen finden sich nicht selten zu Ende der Themen. Umgekehrt steigern sich manche auftaktigen Phrasen bis zu Ende und entbehren des Diminuendo.

Das Gesetz für die agogische [FN: Vom griechischen ... = Tempo, Bewegungsart.] Schattierung ist dem entsprechend ein beschleunigter Anschluss der Noten bis zum dynamischen Gipfelpunkt, eine gelinde Dehnung der Schwerpunktnote und, wo eine weibliche Endung ist, ein allmähliches Abnehmen der Dehnung vom Schwerpunkt bis zum Ende. Die Trennung der Phrasen von einander geschieht in der Regel durch absetzen, Unterbrechung des Legato, durch halbes Absetzen (Mezzolegato, vgl. § 5, S. 21), oder aber durch unbedeutende Verlängerung des letzten Notenwerthes; eine ganz kleine Zugabe zum letzten Notenwerth oder Pausenwerth ist für das ausdrucksvolle Spiel unerlässlich [FN]. Es unterliegt aber keinem <47> Zweifel, dass selbst die Taktmotive und in zusammengesetzten Taktarten die den einfachen Taktarten (2/4, 3/8) entsprechenden Bruchtheile durch minimale Verzögerungen abzugrenzen sind, aber nicht wie es seitens schlechter Spieler geschieht, ein für allemal in gleicher Weise, sondern unter steter Berücksichtigung etwaiger auftaktigen Formen [FN].

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