Chr.Fr.D. Schubart: Ästhetik der Tonkunst

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[Nardini, Pietro]

<61> Nardini, Tartini größter Schüler, ein Geiger der Liebe, im Schooße der Grazien gebildet. Die Zärtlichkeit seines Vortrags läßt sich unmöglich beschreiben: jedes Comma scheint eine Liebeserklärung zu seyn. Sonderlich gelang ihm das Rührende im äußersten Grade. <62> Man hat eiskalte Fürsten und Hofdamen weinen gesehen, wenn er ein Adagio spielte. Ihm selbst tropften oft unter dem Spielen Thränen auf die Geige. Jeden Harm seiner Seele konnte er auf sein Zauberspiel übertragen; seine melancholische Manier aber machte, daß man ihn nicht immer gern hörte; denn er war fähig, die ausgelassenste Phantasie vom muthwilligsten Tanze auf Gräber hinzuzaubern. Sein Strich war langsam und feyerlich; doch riß er nicht wie Tartini die Noten mit der Wurzel heraus, sondern küßte nur ihre Skizzen. Er stackirte ganz langsam, und jede Note schien ein Blutstropfen zu seyn, der aus der gefühlvollsten Seele floß. Man behauptet, daß eine unglückliche Liebe der Seele dieses großen Mannes diese schwermüthige Stimmung gegeben; denn personen, die ihn vorher gehört, sagen, daß sein Styl in jüngern Jahren sehr hell und rosenfarbig gewesen sey.

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