Chr.Fr.D. Schubart: Ästhetik der Tonkunst

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Die Leyer

<303> oder die Lyra, Cholyn und Telyn der Alten bestand aus sieben bis acht und mehreren Saiten. Sie ist noch bey den nordamerikanischen Völkern üblich, auch ist es das Leibinstrument des Hottentoten. Dieser nimmt einen Gänsekiel oder eine Fischgräte, und fährt über seine Leyer, die im Accord gestimmt ist, ohne durch Griffe die dazwischen liegenden Töne heraus zu bringen.

Da die Leyer unstreitig das älteste Instrument der Welt ist; so kann man sie auch als die Mutter aller besaiteten Instrumente betrachten. Von ihr stammt auch unter andern die

Harfe

her, die sich gleichfalls im grauesten Alterthume verliert. <304> Sie wurde von den Juden erfunden, von den Persern, Medern und Griechen nachgeahmt, und kam so in den Strudeln der Zeit bis auf uns. Die Juden brauchten sie Anfangs bloß zum Gottesdienste. Ihre Tempelharfen waren sehr groß und hatten einen so scharfen Ton, daß zwanzig bis dreyßig Harfenspieler die zahlreichste Gemeinde durchschlugen. Ihrer ersten Bestimmung nach war sie ganz dem Lobe und Preise Jehovahs geheiligt, wie man aus den Psalmen sieht, welche ganz eigen für die Harfe gesetzt sind. Die Juden hatten auch Hausharfen und Reiseharfen, die aber meisten Theils zu religiösen Gesängen gebraucht wurden. Die Reiseharfen waren so leicht und zierlich gemacht, daß man sie allenthalben mit sich führen konnte. Daher klagt der Sänger so rührend an den Wässern zu Babel: "Da saßen wir und weinten; unsere Harfen hiengen an den Weiden." Es ist nicht mehr bekannt, wie die Stimmung der jüdischen Harfe war. Sie muß aber sehr vollkommen gewesen seyn, wenn man die erstaunlichen Wirkungen bedenkt, welche z.B. Davids Harfenspiel zugeschrieben werden. Heutiges Tages wird die Harfe zwar durch ganz Europa gespielt; nie aber in Kirchen, und nur höchst selten in Privatconcerten gebraucht. Die Orgel und der Flügel haben sie aus diesen Versammlungen verdrängt. Wer also zur Harfe spielen will, thut es für sich, oder läßt sich mit einer Violine begleiten. Man hat in unsern Tagen sehr schöne Pedalharfen erfunden, wodurch man die Semitonien in der größten Geschwindigkeit hervor bringen kann.

<305> Die Natur der Harfe hat viel Feyerliches, Andächtiges, Geisterhebendes; nur muß man dahin sehen, das beständige Pizzicato so unmerklich zu machen, daß es nie in Katzengekrall ausartet, sondern vielmehr unter den Fingern den so genannten Angriff bekömmt. In Nürnberg ist eine herrliche Unterweisung für die Harfe herausgekommen, nach welcher man dieses Instrument fast ganz allein erlernen kann.

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