Chr.Fr.D. Schubart: Ästhetik der Tonkunst

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Pantominischer Styl.

<350> Dieser ist eigentlicch [sic!] der Dollmetscher, oder wenn der Tonsetzer sehr stark ist, der Ausleger der Mimik. Er ist theils dramatisch, theils aber auch gesellschaftlich. Cahusac und Noverre, haben den Tanz, nach Art der großen alten Mimiker, wieder ganz dramatisch behandelt, und an Rudolph, Dellern und Sterzern, die erhabensten Dollmetscher ihrer Mimik gefunden. Der Tanzcomponist muß beynahe alle große Eigenschaften des großen Operncomponisten haben. Sogar das Erhabene, Schauerliche, Shakespearsche, liegt in seiner Sphäre. Zwar darf er die großen Leidenschaften nicht so ausführlich vortragen, aber zusammendrängen muß er sie; muß jedes Zucken der Fußsohle, jede Bewegung der Hände, jedes Mienenspiel, jede Leibesstellung, treu dollmetschen. Er muß dem Komischen so gut gewachsen seyn wie dem Tragischen. Seine Melodien müssen leicht seyn, reeltändelnd, so paradox dieser Gedanke scheint, und alle Muskeln so packen, daß sie wie Salz, die Schenkeln des todten Frosches noch zum Hüpfen bewegen.

Sonst theilt sich die Tanzmusik, wie die Opernmusik, <351> in verschiedene Parthien. Nur kommt hier die Chacone in Betracht, die im Capitel von den besondern musikalischen Stücken, näher detaillirt werden soll. Was den gesellschaftlichen Tanz betrifft, so vertheilt er sich, nach der Verschiedenheit des Nationalgeschmacks, in verschiedene Zweige.

Die Menuette, oder der französische Tanz, ist nach dem Geiste der französischen Nation, ein zierliches, in Kunst gekleidetes Compliment, und hat immer dreyviertel Tact. Solche Tänze werden sehr leicht verfertigt. Man macht sie mit, und ohne Trios, mit sechzehn und mehreren Tacten. Schwere Ausweichungen sind für diesen Tanz zu hart. Doch ist es heut zu Tage Mode geworden, um der Abwechselung willen, die Trios oft in sehr grelle Töne zu setzen, allein ohne Wirkung. Simplicität thut auch hier Wunder.

Der englische Tanz. Sein Charakter ist ungemein gesellschaftlich. Er hat viel choreographische, und lieblich in einander gewundene Schönheiten. Er liebt immer den zweyviertel Tact, und eine leichte gefällige Erbebung. Auch diese Tänze macht man mit und ohne Trios. Sie sind durch ganz Europa gemein.

Der holländische Tanz scheint von den Matrosen erfunden zu seyn. Er wimmelt durch einander wie Spritzwasser; die Tacte wechseln in langsamer oder schneller Bewegung ab, und die Melodien sind ungemein lieblich zu hören. Diese Tänze sind weit schwerer zu setzen, als die erstgedachten, man hat daher sehr wenig gute.

Der pohlnische Tanz, dessen Charakter Gravität und <352> eleganter körperlicher Umrißs ist, und der vielleicht seines Gleichen nicht hat, (denn die von Forster und Gluk so hoch angerühmten pantomimischen Tänze sind unter uns noch zu unbekannt) liebt den zweyviertel, meisten Theils aber dreyviertel Tact in der möglichst langsamen Bewegung. Diejenigen pohlnischen Tänze, so im Lande selbst verfertiget werden, übertreffen die übrigen weit.

Der ungerische Tanz hat einige ganz originelle Wendungen, und die Heidemacken haben sogar Originalmelodien, die sich den Tänzen der Zigeuner ziemlich nähern. Der Tact ist immer zweyviertel, die Bewegung mehr langsam als schnell, und in der Ausweichung ganz bizarr; z.B. sie beginnen vier Tacte in G, und hören sodann in C auf; und so haben sie noch manche barocke Wendungen. Dieser Tanz verdient sehr auf das Theater gebracht zu werden.

Der deutsche Tanz, oder der Walzer; von den Alten Schleifer, jetzt auch Ländler genannt; theilt sich ein in den engen, und weiten. Der enge Schleifer; ein sehr scandalöser.. und dem deutschen Ernst zur Schande gereichender Tanz, hat immer zweyviertel Tact; der weite Schleifer ein stürmender, in weiten Kreisen sich herumwälzender Tanz, welcher Solo oder Tutti allein oder gesellschaftlich getanzt werden kann, wird in dreyachtel oder dreyviertell gesetzt, mit oder ohne Trios. In keinem Tanze muß die Elevation stärker seyn, als beym deutschen. Jeder Tact muß auf das strengste markirt werden, und die Bewegung nie zu rasend, auch nie zu <353> langsam seyn. Im ersten Falle wirbelt er das Hirn durch einander; im zweyten artet er von seiner Natur ab.

Die Deutschen haben noch einige ganz originelle, Tänze, wovon der Kiefer- oder Büttnertanz, vom ersten Balletmeister studiert zu werden verdient [Fußnote: Die Schweinauer, eine halbe Stunde von Nürnberg, haben das ganz von allen Provinzialtänzen abstehende, daß sie mitten im dreyachtel Tact den zweyviertel Tact anschlagen. Die Wirkung ist frappant.]

Die so genannten sieben Sprünge sind ebenfalls eine uralte Erfindung der Deutschen. Es ist eigentlich ein Solotanz; und die Melodie dazu ist nur eine einzige, kaum läßt sich mehr eine zweyte erfinden.

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