Zweiter Quartettmorgen. [Kreisig 55]

Quartette von C. Decker, C.G. Reißiger und L. Cherubini.

[Auszug]

<II,251> [...]

[C. Decker, Quartett c-moll, op. 14]

<II,252> [...] So möchten wir denn Allen, die, ohne vom Genius beseelt zu sein, nun einmal componiren, ihren Eifer für die gute Sache der Kunst betäthigen wollen, den Rath geben, fleißig fort zu schreiben, aber mit der Bitte, nicht alles auch drucken zu lassen. Noch eher gehörten die Irrthümer eines großen Talentes der Welt an, von denen man sogar lernen und nützen kann: bloße Studien aber, erste Versuche behalte man in seinen vier glücklichen Wänden. Studien im Quartettstyl möcht' ich denn auch das Quartett dieses Componisten nennen. [...]

[...]

[L. Cherubini, Erstes Quartett (Es dur)]

<II,255> Wir schlossen mit dem ersten der schon seit geraumer Zeit erschienenen Quartette von Cherubini, [FN: Nro. 1 (Es dur).] über die sich selbst unter guten Musikern Meinungszwiespalt erhoben. Er betrifft wohl nicht die Frage, ob diese Arbeiten von einem Meister der Kunst herrühren, worüber kein Zweifel aufkommen kann, sondern ob das der rechte Quartettstyl, den wir lieben, den wir als mustergültig anerkannt haben. Man hat sich einmal an die Art der drei bekannten deutschen Meister gewöhnt, und in gerechter Anerkennung auch Onslow und zuletzt Mendelssohn, als die Spuren Jener weiter verfolgend, in den Kreis aufgenommen. Jetzt kömmt nun Cherubini, ein in der höchsten Kunstaristokratie und in seinen eigenen Kunstansichten ergrauter Künstler, er, der noch jetzt im <II,256> höchsten Alter als Harmoniker der Mitwelt der überlegenste, der feine, gelehrte, interessante Italiener, dem in seiner strengen Abgeschlossenheit und Charakterstärke ich manchmal Dante vergleichen möchte. Gesteh' ich, daß auch mich, als ich dieses Quartett zum erstenmal hörte, namentlich nach den zwei ersten Sätzen ein großes Unbehagen überfiel; das war nicht das Erwartete; Vieles schien mir opernmäßig, überladen, Anderes wieder kleinlich, leer und eigensinnig; es mochte bei mir die Ungeduld der Jugend sein, die den Sinn in den oft wunderlichen Reden des Greises nicht gleich zu deuten wußte; denn andererseits spürte ich freilich den gebietenden Meister, und zwar bis in die Fußspitzen hinab. Dann folgten aber das Scherzo mit seinem schwärmerischen spanischen Thema, das außerordentliche Trio und zuletzt das Finale, das wie ein Diamant, wie man es wendet, nach allen Seiten Funken wirft, und nun war kein Zweifel, wer das Quartett geschrieben und ob es seines Meisters würdig. Gewiß wird es Vielen wie mir ergehen; man muß sich mit dem besondern Geiste dieses, seines Quartettstyles erst befreunden; es ist nicht die trauliche Muttersprache, in der wir angeredet werden, es ist ein vornehmer Ausländer, der zu uns spricht: je mehr wir ihn verstehen lernen, je höher wir ihn achten müssen. Diese Andeutungen, die nur einen schwachen Begriff von der Eigenthümlichkeit dieses Werkes geben, mögen deutsche Quartettzirkel aufmerksam machen. Zum Vortrag gehört Viel, gehören Künstler. <II,257> In einem Anfalle von Redacteur-Uebermut wünschte ich mir Baillot (an den Cherubini hauptsächlich gedacht zu haben scheint) an die erste, Lipinski an die zweite Violine, Mendelssohn an die Bratsche (sein Hauptinstrument, Orgel und Clavier ausgenommen) und Max Bohrer oder Fritz Kummer an das Violoncell. Indeß dankte ich's noch freundlich genug meinen Quartettisten, die zum Schluß baldigst wiederzukommen und sich wie mich mit den andern Quartetten Cherubini's bekannt zu machen unter sich beschlossen, wo dann der Leser neue Mittheilungen zu erwarten hat. -

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