Norbert Burgmüller. [Kreisig 74]

[Auszüge]

<III,145> Nach Franz Schubert's frühzeitigem Tod konnte keiner schmerzlicher treffen als Burgmüller's. Anstatt daß das Schicksal einmal in jenen Mittelmäßigkeiten dezimiren sollte, wie sie schaarenweise herumlagern, nimmt es uns die besten Feldherrentalente selbst weg. Franz Schubert sah sich zwar noch bei Lebzeiten gepriesen; Burgmüller aber genoß kaum der Anfänge einer öffentlichen Anerkennung und war nur einem kleinen Kreise bekannt, und diesem vielleicht noch mehr als ein "curioser" Mensch wie als Musiker.1 So ist es denn Pflicht, wenigstens dem Todten die Ehren zu erzeigen, die wir dem Lebenden, vielleicht nicht ohne sein Verschulden, nicht erzeigen konnten.

Zwar kennen wir nur Weniges von ihm: eine Symphonie, die, nur einmal an uns vorübergegangen, noch in der Erinnerung mit Freude erfüllt, ein Heft <III,146> Lieder, das die Zeitschrift schon früher besprochen und erhoben, eine Sonate, eine Rhapsodie und wieder ein Heft Lieder, die drei letzten erst vor Kurzem erschienen. Dies Wenige aber reicht hin, die Fülle von Kraft, die nun gebrochen, auf das Innigste betrauern zu müssen. Sein Talent hat solche leuchtende Vorzüge, daß über dessen Dasein nur einem Blinden Zweifel aufkommen könnte; selbst die Masse, glaub' ich, würde er später zur Anerkennung gezwungen, der Reichtum seiner Melodieen müßte sie gepackt haben, wenn sie auch die wahrhaft künstlerische Bearbeitung der Theile nicht zu würdigen verstanden.

Wie Beethoven am deutschen Rheine geboren, nahm er vielleicht frühzeitig von seinen reizenden Umgebungen in sich auf; möglich, daß auch das rege Kunstleben im nahen Düsseldorf nicht ohne Einfluß auf ihn war. Später sehen wir ihn in Cassel. Der Einfluß Spohr's, bei dem er hier studirte, wiewohl er nicht zu verkennen, erscheint indeß in dem uns Bekannten nur als ein leiser Nachhall; die Schülerschaft ist bereits der Selbstständigkeit gewichen; Spohr selbst hat ihn sicher in diesem Sinne der Lehre entlassen, und, wie man sagt, mit schönen Hoffnungen seiner zukünftigen Bedeutung. Auch Hauptmann, der eben so gründliche als fein schaffende Tonsetzer, darf nicht unerwähnt bleiben, bei dem Burgmüller gleicher Weise gelernt. In solcher Kraft der Selbstständigkeit zeigt er sich nun namentlich in der Rhapsodie; sie zählt nur sechs Seiten, aber den Eindruck <III,147> möcht' ich beinahe der ersten Wirkung des Goethe'schen Erlkönigs vergleichen. Welch meisterliches Gebilde, wie in Einem Moment gedacht, entworfen und vollendet, und mit wie wenig Aufwand, wie bescheiden vollendet! Der Phantasie des Musikers auf den Grund sehen zu wollen ist gefährlich; bei der Rhapsodie scheint es mir aber gewiß, daß noch etwas im Spiele, daß der Musik vielleicht eine besondere Veranlassung zum Grunde liegt, ein Gedicht, ein Bild, ein Lebensereigniß. Einem Dichter, der gut Musik verstände, möchte die Deutung am leichtesten gelingen. Wie dem sei, die Rhapsodie wirkt gleich einer Erscheinung aus anderer Welt! den Augen nicht trauend, sehen wir noch lange um uns, wenn sie schon entschwunden.

[...]

<III,149> Der Verleger, der noch mehre Compositionen von Burgmüller im Besitz hat, möge rasch an ihrer Veröffentlichung arbeiten lassen; er wird es nicht zu bereuen haben. Verleger scheinen mir auch oft wie Fischer; unwissend, was Glück und Zufall bringen, werfen sie ihre Netze aus und es fängt sich allerhand großes und kleines Gesindel, bis denn einmal das schwere Gewicht einen seltenen Gast verheißt und der Fischer hocherfreut einen kostbaren Schatz aus der Tiefe zieht. Ein solcher glücklicher Zug war Burgmüller.

Fußnoten

1 Vgl. einen Aufsatz von Immermann in Band VIII, Nr. 27 der Zeitschrift. zurück zum Text
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