Die vier Ouverturen zu Fidelio. [Kreisig 83]

<III,212> Mit goldner Schrift sollte es gedruckt werden, was das Leipziger Orchester am letzten Donnerstag ausgeführt; sämmtliche vier Ouverturen zu Fidelio nacheinander. Dank euch Wiener von 1805, daß euch die erste nicht ansprach, bis Beethoven in göttlichem Ingrimme eine nach der andern hervorwühlte. Ist er mir je gewaltig erschienen, so an jenem Abend, wo wir ihn besser als je in seiner Werkstatt, - bildend, verwerfend, abändernd -, immer glühend und heiß, bei seiner Arbeit belauschen konnten. Am riesigsten zeigte er sich wohl beim zweiten Anlauf. Die erste Ouverture wollte nicht gefallen: halt', dachte er, bei der zweiten soll euch das Denken vergehen' - und setzte sich von neuem an die Arbeit, und ließ das erschütternde Drama an sich vorübergehen, und sang die großen Leiden und die große Freude seiner Geliebten noch einmal; sie ist dämonisch, diese zweite, im einzelnen wohl noch kühner als die dritte, die bekannte große in C dur. Denn auch <III,213> jene genügte ihm nicht, daß er sie wieder beiseite legte, und nur einzelne Stücke beibehielt, aus denen er, beruhigter schon und künstlerischer, jene dritte formte. Später folgte noch jene leichtere und populäre in E dur, die man gewöhnlich im Theater zur Eröffnung hört.

Das ist das große Vier-Ouverturenwerk; ähnlich wie die Natur bildet, sehen wir in ihm zuerst das Wurzelgeflecht, aus dem sich in der zweiten der riesige Stamm hebt, seine Arme links und rechts ausbreitet, und zuletzt mit leichterem Blütengebüsche schließt.

Florestan.

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