Türk: Klavierschule

IV. Kapitel. Von den wesentlichen Manieren.

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1. Abschnitt.

(a) Von den Manieren überhaupt. [§. 1-5]

<235> §. 1. Unter Manieren versteht man diejenigen Verzierungen, welche statt gewisser simpeln Töne angebracht werden. Der Nutzen dieser Manieren ist mannigfaltig. Sie tragen ein Merkliches zur Verschönerung der Melodie bey; sie beleben den Gesang und machen ihn zusammenhängender; sie unterhalten die Aufmerksamkeit; sie geben den Tönen, bey welchen sie angebracht werden, einen größern Nachdruck, so daß dadurch ein Tonstück sprechender wird; sie verstärken den Ausdruck der Leidenschaften und Empfindungen; sie bringen, außer der nöthigen Mannigfaltigkeit, gleichsam Licht und Schatten in ein Tonstück u.s.w.

§. 2. [...]

<236> §. 3. Wenn ich vorher den zweckmäßigen Gebrauch der Manieren [recte: Vorschläge und Nachschläge] empfahl, so muß ich nun auch vor dem überhäuften und ohne Auswahl angebrachten Manieren warnen. [...]

Wie ekelhaft. - Und doch hört man nur allzuoft die rührendsten Stücke so geschmacklos hertrillern. Wer nicht fühlt, daß in dem obigen Beyspiele ein schöner singender Ton ungleich mehr Wirkung thut, als die Ausführung bey (b), dem ist weiter nicht zu rathen.

<237> §. 4. Daß die Manieren nicht blos ein Werk der Kunst sind, sondern oft durch die Empfindung selbst an die Hand gegeben werden, hat Sulzer schon angemerkt. Aber freylich wird hierbey ein richtiges Gefühl voraus gesetzt. Demjenigen, welcher z.B. das obige ADAGIO mit den beygefügten Manieren (b) überhäufte, würde man wohl schwerlich ein richtiges Gefühl zugestehen können. - Das Verweilen bey einem wichtigen Tone, der leichte, gleichsam vorbey eilende, Vortrag bey unbedeutenden Intervallen, die jedem Affekte angemessene aber unmöglich immer genau zu bestimmende Modifikation des Tones, und ähnliche Behandlungsarten, können in gewisser Rücksicht gar wohl Manieren genannt werden; sie sind aber blos die Sache eines richtigen Gefühles. Hat der Spieler dieses Gefühl nicht, so ist er zu bedauren; denn er wird durch alle Regeln, die man ihm etwa hierüber geben könnte, nicht dahin gebracht werden, ein Tonstück vollkommen gut und sprechend vorzutragen.

Einige nähere Winke über diese aus der Empfindung entstehende Manieren werde ich im Kapitel von dem Vortrage geben.

[...]

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