C. Ph. E. Bach: Versuch ..., 1. Teil - Vorrede

Vorrede

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<*1> So viele Vorzüge das Clavier besitzet, so vielen Schwürigkeiten ist dasselbe zu gleicher Zeit unterworffen. Die Vollkommenheit desselben wäre leichte daraus zu erweisen, wenn es nöthig wäre, weil es diejenigen Eigenschafften, die andere Instrumente nur einzeln haben, in sich vereinet; weil man eine vollständige Harmonie, wozu sonst drey, vier und mehrere Instrumente erfordert werden, darauf mit einmahl hervor bringen kan, und was dergleichen Vortheile mehr sind. Wem ist aber nicht zugleich bekannt, wie viele Forderungen an das Clavier gemachet werden; wie man sich nicht begnüget, dasjenige von einem Clavierspieler zu erwarten, was man von jedem Instrumentisten mit Recht fordern kan, nemlich die Fertigkeit, ein für sein Instrument <*2> gesetztes Stück den Regeln des guten Vortrags gemäß, auszuführen? Man verlanget noch überdies, daß ein Clavierspieler Fantasien von allerley Art machen soll; daß er einen aufgegebenen Satz nach den strengsten Regeln der Harmonie und Melodie aus dem Stegereif durcharbeiten, aus allen Tönen [Tonarten] mit gleicher Leichtigkeit spielen, einen Ton in den andern im Augenblick ohne Fehler übersetzen, alles ohne Unterscheid vom Blatte weg spielen soll, es mag für sein Instrument eigentlich gesetzt seyn oder nicht; daß er die Wissenschafft des Generalbasses in seiner völligen Gewalt haben, selbigen mit Unterscheid, oft mit Verläugnung, bald mit vielen, bald mit wenigen Stimmen, bald nach der Strenge der Harmonie, bald galant, bald manch einem zu wenig oder zu viel, bald gar nicht und bald sehr falsch bezifferten Basse spielen soll; daß er diesen Generalbaß manchmahl aus Partituren von vielen Linien, bey unbezieferten, oder ofte gar pausirenden Bässen, wenn nehmlich eine von den andern Stimmen zum Grunde der Harmonie dienet, ziehen und dadurch die Zusammenstimmung verstärcken soll, und wer weiß alle Forderungen mehr? Diesem <*3> soll nun noch mehrentheils aus einem fremden Instrumente Genüge geschehen, und siehet man gar nicht darauf, ob solches gut oder schlecht, ob solches im gehörigen Stande ist, oder nicht, wobey oft keine Entschuldigung gilt. Im Gegentheile ist dieses die gewöhnlichste Zumutung, daß man Fantasien verlangt, ohne sich zu bekümmern, ob der Clavierist in dem Augenblicke dazu genungsam aufgeräumt ist oder nicht, und ohne ihm die dazu gehörige Disposition, entweder durch Darbietung eines tüchtigen Instruments zu verschaffen, oder ihm selbige zu erhalten.

Dieser Forderung ungeachtet findet das Clavier allezeit mit Recht seine Liebhaber. Man lässet sich durch die Schwürigkeiten desselben nicht abschrecken, ein Instrument zu erlernen, welches durch seine vorzüglichen Reitze die darauf gewandte Mühe und Zeit völlig ersetzet. Es ist aber auch nicht jeder Liebhaber verbunden, alle diese Forderungen an dasselbe zu erfüllen. Er nimmt so vielen Antheil daran, als er will, und ihm die von Natur erhaltenen Gaben erlauben.

Nur wäre es zu wünschen, daß die Unterweisung <*4> auf diesem Instrumente hin und wieder etwas verbessert, und das wahre Gute, welches, wie überhaupt in der Musick, also besonders auf dem Claviere noch bisher bey wenigen anzutreffen gewesen ist, dadurch allgemeiner würde. Die vortrefflichsten Meister in der Ausübung, denen man etwas Gutes abhören könnte, sind noch nicht in so grosser Anzahl zu finden, als man sich vielleicht einbilden dürfte. Das Abhören, eine Art erlaubten Diebstahls, aber ist in der Musick desto nothwendiger, da, wenn auch die Abgunst unter den Menschen nicht so groß wäre, viele Sachen aufstossen, die man kaum wiesen, geschweige schreiben kan, und die man also vom blossen Hören erlernen muß.

Wenn ich hiemit der Welt eine Anleitung zum Clavierspielen übergebe: So ist meine Absicht im geringsten nicht, die vorher angeführten Anforderungen an dasselbe nacheinander durchzugehen, und zu zeigen, wie man allen diesen besonders ein Gnüge leisten soll. Es wird hier weder von der Art zu fantasiren, noch von dem Generalbasse gehandelt werden. [Anm. Die Abhandlung zum Generalbaß legt C.Ph.E. Bach 1762 im 2. Teil des Versuchs vor.] Man findet dieses zum Theil in vielen guten Büchern <*5> bereits vorlängst ausgeführet. Ich bin hier Willens, die wahre Art zu zeigen, Handsachen mit Beyfall vernünftiger Kenner zu spielen. Wer aber hierinnen das Seinige gethan hat, der hat schon sehr vieles auf dem Claviere gethan, und wird derselbe in den übrigen Aufgaben desselben desto bequemer fortzukommen, die Fähigkeit haben. Die Anforderungen, die man vor allen andern Instrumenten vorzüglich an das Clavier machet, zeugen von der Vollkommenheit und dem weiten Umfange desselben, und aus der musikalischen Geschichte bemercket man, daß diejenigen, denen es gelungen, sich einen grossen Nahmen in der musikalischen Welt zu machen, dieses Instrument mehrentheils vorzüglich ausgeübet haben.

Bey allem diesenhabe ich hauptsächlich meine Absicht zugleich auf diejenigen Lehrer gerichtet, welche ihre Schüler bishero nicht nach den wahren Grundsätzen der Kunst angeführet haben. Liebhaber, die durch falsche Vorschriften verhudelt worden, können sich von selbsten nach meinen Lehrsätzen zurechte helffen, wenn sie schon viel Musick sonsten gespielt haben; Anfänger aber werden, vermittelst derselben, <*6> mit besondrer Leichtigkeit in kurzer Zeit dahin kommen, wo sie kaum geglaubt hätten.

Diejenigen irren sich, welche ein weitläuftiges Lehrgebäude von mir erwartet haben; ich habe mehr Danck zu verdienen geglaubt, wenn ich das ziemlich schwehre Clavier=Studium durch kurtze Lehrsätze, so viel möglich, leichte und angenehm machte.

[...]

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