C. Ph. E. Bach: Versuch ..., 1. Teil - Kap. 3

Drittes Hauptstück. Vom Vortrage. [§ 1-31]

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<115> §. 1. Es ist unstreitig ein Vorurtheil, als wenn die Stärcke eines Clavieristen in der blossen Geschwindigkeit bestände. Man kan die fertigsten Finger, einfache und doppelte Triller haben, die Applicatur verstehen, vom Blatte treffen, es mögen so viele Schlüssel im Lauffe des Stückes vorkommen als sie wollen, alles ohne viele Mühe aus dem Stegereif transponiren, Decimen, ja Duodecimen greiffen, Läuffer und Kreutzsprünge von allerley Art machen können, und was dergleichen mehr ist; und man kan bey dem allen noch nicht ein deutlicher, ein gefälliger, ein rührender Clavieriste seyn. Die Erfahrung lehret es mehr als zu oft, wie die Treffer und geschwinden Spieler von Profeßion nichts weniger als diese Eigenschaften besitzen, wie sie zwar durch die Finger das Gesicht in Verwunderung setzen, der empfindlichen Seele eines Zuhörers aber gar nichts zu thun geben. Sie überraschen das Ohr, ohne es zu vergnügen, und betäuben den Verstand, ohne ihm genug zu thun. Ich spreche hiemit dem Spielen aus dem Stegereif nicht sein gebührendes Lob ab. Es ist rühmlich, eine Fertigkeit darinnen zu haben, und ich rathe es selbst einem jeden aufs beste an. Es darf aber ein blosser Treffer wohl nicht auf die wahrhaften Verdienste desjenigen Ansprüche machen, der mehr das Ohr als das Gesicht, und mehr das Hertz als das Ohr in eine sanfte Empfindung zu versetzen und dahin, wo er will, zu reissen vermögend ist. Es ist wohl selten möglich, ein Stück bey dem ersten Anblicke sogleich nach seinem <116> wahren Inhalt und Affeckt weg zu spielen. In den geübtesten Orchestern wird ja oft über einige Noten nach sehr leichten Sachen mehr als eine Probe angestellet. Die meisten Treffen werden vielmahls nichts mehr thun, als daß sie die Noten treffen, und wie vieles wird vielleicht nicht der Zusammenhang und die Verbindung der Melodie leiden, wenn auch im geringsten nicht in der Harmonie gestolpert würde? Es ist ein Vorzug fürs Clavier, daß man es in der Geschwindigkeit darauf höher als einem andern Instrumente bringen kan. Man muß aber diese Geschwindigkeit nicht mißbrauchen. Man verspare sie bis auf Gänge, wo man ihrer nöthig hat, ohne gleich das Tempo vom Anfange zu überschreiten. Daß ich der Geschwindigkeit nicht ihr Verdienst, und folglich weder ihren Nutzen noch Nothwendigkeit nehme, wird man daraus abnehmen, daß ich verlange, daß die Probestücke aus dem G und F moll und die aus den kleinsten Noten bestehenden Läufer in dem aus dem C moll auf das hurtigste wiewohl deutlich gespielt werden müssen. In einigen auswärtigen Gegenden herrscht größtentheils besonders dieser Fehler sehr starck, daß man die Adagios zu hurtig und die Allegros zu langsam spielet. Was für ein Widerspruch in einer solchen Art von Ausführung stecke, braucht man nicht methodisch darzuthun. Doch halte man nicht dafür, als ob ich hiemit diejenigen trägen und steiffen Hände rechtfertigen will, die einen aus Gefälligkeit einschläfern, die unter dem Vorwande des sangbaren das Instrument nicht zu beleben wissen, und durch den verdrießlichen Vortrag ihrer gähnenden Einfälle noch weit mehrere Vorwürfe, als die geschwinden Spieler verdienen. Diese letztern sind zum wenigsten noch der Verbesserung fähig; ihr Feuer kan gedämpfet werden, wenn man sie ausdrücklich zur Langsamkeit anhält, da das hypochondrische Wesen, das aus den matten Fingern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch das Gegentheil zu heben ist. Beyde übrigens <117> üben ihr Instrument bloß maschinenmäßig aus, da zu dem rührenden Spielen gute Köpfe erfodert werden, die sich gewissen vernünftigen Regeln zu unterwerfen und darnach ihre Stücke vorzutragen fähig sind.

§. 2. Worinn aber besteht der gute Vortrag? in nichts anderm als der Fertigkeit, musikalische Gedancken nach ihrem wahren Inhalte und Affeckt singend oder spielend dem Gehöre empfindlich zu machen. Man kan durch die Verschiedenheit desselben einerley Gedancken dem Ohre so veränderlich machen, daß man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken gewesen sind.

§. 3. Die Gegenstände des Vortrages sind die Stärcke und Schwäche der Töne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stossen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer diese Dinge gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der hat einen schlechten Vortrag.

§. 4. Der gute Vortrag ist also sofort daran zu erkennen, wenn man alle Noten nebst den ihnen zugemessenen guten Manieren zu rechter Zeit in ihrer gehörigen Stärcke durch einen nach dem wahren Inhalte des Stücks abgewognen Druck mit einer Leichtigkeit hören läßt. Hieraus entstehet das Runde, Reine und Fliessende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und ausdrückend. Man muß aber zu dem Ende die Beschaffenheit desjenigen Instruments, worauf man spielet, wohl untersuchen, damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreiffe. Manches Clavier giebt nicht eher seinen vollkommnen und reinen Ton von sich, als wenn man es starck angreifft; ein anders wiederum muß sehr geschonet werden, <118> oder man übertreibt das Ansprechen des Tons. Diese Anmerkung, die schon im Eingange gemacht worden, wiederhohle ich allhier deßwegen noch einmahl, damit man auf eine vernünftigere Art, als insgemein geschieht, nemlich nicht durch eine übertriebne Gewalt des Anschlages, sondern vielmehr durch harmonische und melodische Figuren, z.E. die Raserey, den Zorn oder andere gewaltigen Affeckte vorzustellen suche. Auch in den geschwindesten Gedancken muß man hiebey jeder Note ihren gehörigen Druck geben; sonsten ist der Anschlag ungleich und undeutlich. Diese Gedancken werden gemeiniglich nach der bey den Trillern angeführten Art geschnellet. [Siehe S. 82i, Kap. II, Abt. 3, §. 32]

[Zusatz der Ausgabe 1787:]
Das Runde im Vortrage läßt sich am besten aus geschwinden Stücken erlernen welche mit schweren und leichten Passagen von einerley Geschwindigkeit abwechseln. Man wird oft Spieler finden, welche wegen ihrer Faustfertigkeit die erstern reine heraus bringen, die letztern aber undeutlich machen, weil sie ihre Finger nicht in ihrer Gewalt haben. Bey der Leichtigkeit wird ihnen die Zeit zu lang, sie übereilen sich und fahren drüber hin. [...]

§. 5. Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in gestossenen Noten und das Zärtliche des Adagio in getragenen und geschleiften Noten vorgestellet. Man hat also beym Vortrage darauf zu sehen, daß diese Art und Eigenschaft des Allegro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieses bey den Stücken nicht angedeutet ist, und der Spieler noch nicht hinlängliche Einsichten in den Affeckt eines Stückes hat. Ich setze oben mit Fleiß gemeiniglich, weil ich wohl weiß, daß allerhand Arten von Noten bey allerhand Arten der Zeitmaaße vorkommen können.

§. 6. Einige Personen spielen zu klebericht, als wenn sie Leim zwischen den Fingern hätten. Ihr Anschlag ist zu lang, indem sie die Noten über die Zeit liegen lassen. Andere haben es verbessern wollen, und spielen zu kurz; als wenn die Tasten glühend wären. Es thut aber auch schlecht. Die Mittelstrasse ist die beste; ich rede hievon überhaupt; alle Arten des Anschlages sind zur rechten Zeit gut.

<119> §. 7. Wegen Mangel des langen Tonhaltens und des vollkommnen Ab= und Zunehmen des Tons, welches man nicht unrecht durch Schatten und Licht mahlerisch ausdrückt, ist es keine geringe Aufgabe, auf unserm Instrumente ein Adagio singend zu spielen, ohne durch zu wenige Ausfüllungen zu viel Zeitraum und Einfalt blicken zu lassen, oder durch zu viele bunte Noten undeutlich und lächerlich zu werden. [...] Die Mittelstrasse ist freylich schwer hierinnen zu finden, aber doch nicht unmöglich; zudem so sind unsere meisten Hülfsmittel zum Aushalten, z.E. die Triller und Mordenten, bey der Stimme und andern Instrumenten so gut gewöhnlich als bey dem unsrigen. Es müssen aber alle diese Manieren rund und dergestalt vorgetragen werden, daß man glauben sollte, man höre blosse simple Noten. Es gehört hiezu eine Freyheit, die alles sclavische und maschinenmäßige ausschliesset. Aus der Seele muß man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel. Ein Clavierist von dieser Art verdienet allezeit mehr Dank als ein andrer Musikus. Diesem letztern ist es ehe zu verdenken, wenn er bizarr singt oder spielt, als jenem.

§. 8. Um eine Einsicht in den wahren Inhalt und Affeckt eines Stückes zu <120> erlangen, und in Ermangelung der nöthigen Zeichen, die darinnen vorkommenden Noten zu beurtheilen, ob sie geschleift oder gestossen us.w. werden sollen, ingleichen, was bey Anbringung der Manieren in Acht zu nehmen ist, thut man wohl, daß man sich Gelegenheit verschaffet, so wohl eintzelne Musicos als gantze Musickübende Gesellschaften zu hören. Dieses ist um so viel nöthiger, je mehrern zufälligen Dinge meistentheils diese Schönheiten unterworfen sind. Man muß die Manieren in einer nach dem Affeckt abgemeßnen Stärck und Eintheilung des Tacts anbringen. Wiewohl man, um nicht undeutlich zu werden, alle Pausen so wohl als Noten nach der Strenge der erwehlten Bewegung halten muß, ausgenommen in Fermaten und Cadentzen: So kan man doch öfters die schönsten Fehler wider den Tact mit Fleiß begehen, doch mit diesem Unterscheid, daß, wenn man alleine oder mit wenigen und zwar verständigen Personen spielt, solches dergestalt geschehen kan, daß man der gantzen Bewegung zuweilen einige Gewalt anthut; die Begleitenden werden darüber, anstatt sich irren zu lassen, vielmehr aufmercksam werden, und in unsere Absichten einschlagen; daß aber, wenn man mit starcker Begleitung, und zwar wenn selbige aus vermischten Personen von ungleicher Stärcke besteht, man bloß in seiner Stimme allein wider die Eintheilung des Tackts eine Aenderung vornehmen kan, indem die Hauptbewegung desselben genau gehalten werden muß.

[Zusatz der Ausgabe 1787:]
Wenn der Componist einen Satz in einer fremden Ton=Art schließt: so verlangt er gemeiniglich, daß das folgende Stück, ohne vorher zu ruhen, so gleich angefangen werde. Der Componist kann auch aus anderen Ursachen dieses verlangen. In diesem Falle pflegt er am Ende des Satzes, statt zweener Taktstriche, nur einen hinzusetzen.

§. 9. Alle Schwürigkeiten in Passagien sind durch eine starcke Uebung zu erlernen, und erfordern in der That nicht so viele Mühe als der gute Vortrag einfacher Noten. Diese machen manchem zu schaffen, welcher das Clavier für simpler hält als es ist. So faustfertig man unterdessen sey: so traue man sich nicht mehr zu als man bezwingen kan, wenn man öffentlich <121> spielt, indem man alsdenn selten in der gehörigen Gelassenheit, auch nicht allezeit gleich aufgeräumt ist. Seine Fähigkeit und Disposition kan man an den geschwindesten und schwersten Passagen abmessen, damit man sich nicht übertreibe und hernach stecken bleibe. Diejenigen Gänge, welche zu Hause mit Mühe und sogar nur dann und wann glücken; muß man öffentlich weglassen, man müßte denn in einer gantz besondern Fassung des Gemüthes seyn. Auch durch Probirung der Triller und andrer kleinen Manieren kann man das Instrument zuvor erforschen. Alle diese Vorsichten sind aus zweyerley Ursachen nothwendig, erstlich, damit der Vortrag leicht und fliessend sey, und ferner, damit man gewisse ängstliche Gebährden vermeiden könne, die die Zuhörer, anstatt sie zu ermuntern, vielmehr verdrießlich machen müssen.

§. 10. Der Grad der Bewegung läßt sich so wohl nach dem Inhalte des Stückes überhaupt, den man durch gewisse bekannte italiänische Kunstwörter anzuzeigen pflegt, als besonders aus den geschwindesten Noten und Figuren darinnen beurheilen. Bey dieser Untersuchung wird man sich in den Stand setzen, weder im Allegro übereilend, noch im Adagio zu schlägrig zu werden.

§. 11. Die begleitenden Stimmen muß man, soviel möglich, von derjenigen Hand verschonen, welche den herrschenden Gesang führet, damit sie selbigen mit aller Freiheit ungehindert geschickt herausbringen könne.

§. 12. Wir haben im §. 8. [dieses Hauptstücks] als ein Mittel, den guten Vortrag zu erlernen, die Besuchung guter Musicken vorgeschlagen. Wir fügen allhier noch hinzu, daß man keine Gelegenheit verabsäumen müsse, geschickte Sänger besonders <122> zu hören; Man lernet dadurch singend dencken, und wird man wohl thun, daß man sich hernach selbst einen Gedancken vorsinget, um den rechten Vortrag desselben zu treffen. Dieses wird allezeit von grösserm Nutzen seyn, als solches aus weitläuftigen Büchern und Discursen zu hohlen, worinn man von nichts anderm als von Natur, Geschmack, Gesang, Melodie, höret, ungeachtet ihre Urheber öfter nicht im stande sind, zwey Noten zu setzen, welche natürlich, schmackhaft, singend und melodisch sind, da sie doch gleichwohl alle diese Gaben und Vorzüge nach ihrer Willkühr bald diesem bald jenem, jedoch meistens mit einer unglücklichen Wahl, austheilen.

§. 13. Indem der Musickus nicht anders rühren kan, er sey dann selbst gerührt; so muß er nothwendig sich selbst in alle Affeckten setzen können, welche er bey seinen Zuhörern erregen will; er giebt ihnen seine Empfindungen zu verstehen und bewegt sie solchergestallt am besten zur Mit=Empfindung. Bey matten und traurigen Stellen wird er matt und traurig. Man sieht und hört es ihm an.

[Zusatz der Ausgabe 1787:]
Hierbei nehme man sich vor dem Fehler des Allzuschläfrigen und Schleppenden in acht. Man kan durch zu vielen Affect und Melancholie leicht darein fallen.

Dieses geschieht ebenfals bey heftigen, lustigen, und andern Arten von Gedancken, wo er sich alsdenn in diese Affeckten setzet. Kaum, daß er den einen stillt, so erregt er einen andern, folglich wechselt er beständig mit Leidenschaften ab. Diese Schuldigkeit beobachtet er überhaupt bey Stücken, welche ausdrückend gesetzt sind, sie mögen von ihm selbst oder von jemand anders herrühren; im letzten Fall muß er dieselbe Leidenschaften bey sich empfinden, welche der Urheber des fremden Stückes bey dessen Verfertigung hatte. Besonders aber kan der Clavieriste vorzüglich auf allerley Art sich der Gemüther seiner Zuhörer durch Fantasien aus dem Kopfe bemeistern. Daß alles dieses ohne die geringsten Gebehrden abgehen könne, wird derjenige bloß leugnen, welcher durch seine Unempfindlichkeit <123> genöthigt ist, wie ein geschnitztes Bild vor dem Instrumente zu sitzen. So unanständig und schädlich heßliche Gebährden sind: so nützlich sind die guten, indem sie unsern Absichten bey den Zuhörern zu Hülfe kommen. Diese letztern Ausüber machen ungeachtet ihrer Fertigkeit ihren sonst nicht übeln Stücken oft selbsten schlechte Ehre. Sie wissen nicht, was darinnen steckt, weil sie es nicht herausbringen können. Spielt solche Stücke aber ein anderer, welcher zärtliche Empfindungen besitzet, und den guten Vortrag in seiner Gewalt hat; so erfahren sie mit Verwunderung, daß ihre Wercke mehr enthalten, als sie gewust und geglaubt haben. Man sieht daraus, daß ein guter Vortrag auch ein mittelmäßiges Stück erheben, und ihm Beyfall erwerben kan.

§. 14. Aus der Menge der Affeckten, welche die Musick erregen kan, sieht man, was für besondre Gaben ein vollkommener Musikus haben müsse, und mit wie vieler Klugheit er sie zu gebrauchen habe, damit er zugleich seine Zuhörer, und nach dieser ihrer Gesinnung den Inhalt seiner vorzutragenden Wahrheiten, den Ort, und andere Umstände mehr in Erwegung ziehe. Da die Natur auf eine so weise Art die Musik mit so vielen Veränderungen begabet hat, damit ein jeder daran Antheil nehmen könne: so ist ein Musickus also auch schuldig, so viel ihm möglich ist, allerley Arten von Zuhörern zu befriedigen.

§. 15. Wir haben oben angeführt, daß ein Clavieriste besonders durch Fantasien, welche nicht in auswendig gelernten Passagien oder gestohlnen Gedancken bestehen, sondern aus einer guten musikalischen Seele herkommen müssen, das Sprechende, das hurtig Ueberraschende von einem Affeckte <124> zum andern, alleine vorzüglich vor den übrigen Ton=Künstlern ausüben kan; [...]. Das Fantasiren ohne Tackt scheint überhaupt zu Ausdrückung der Affeckten besonders geschickt zu seyn, weil jede Tackt=Art eine Art von Zwang mit sich führet. Man siehet wenigstens aus den Recitativen mit einer Begleitung, daß das Tempo und die Tackt=Arten offt verändert werden müssen, um vielen Affeckten kurtz hinter einander zu erregen und zu stillen. Der Tackt ist alsdenn offt bloß der Schreib=Art wegen vorgezeichnet, ohne daß man hieran gebunden ist. Da wir nun ohne diese Umstände mit aller Freyheit, ohne Tackt, durch Fantasien dieses auf unserm Instrumente bewerckstelligen können, so hat es dieserwegen einen besondern Vorzug.

§. 16. Indem man also ein jedes Stück nach seinem wahren Inhalte, und mit dem gehörigen Affecte spielen soll; so thun die Componisten wohl, wenn sie ihren Ausarbeitungen ausser der Bezeichnung des Tempo, annoch solche Wörter vorsetzen, wordurch der Inhalt derselben erkläret wird. So gut diese Vorsicht ist, so wenig würde sie hinlänglich seyn, das Verhudeln ihrer Stücke zu verhindern, wenn sie nicht auch zugleich die gewöhnlichen Zeichen, welche den Vortrag angeben, den Noten beyfügten. [...]

<125> §. 17. Das Anschlagen der Taste oder ihr Druck ist einerley. Alles hängt von der Stärcke oder von der Länge desselben ab. Die Noten, welche gestossen werden sollen, werden sowohl durch darüber gesetzte Strichelgen als durch Punckte bezeichnet.

Wir haben dismahl die letztere Art gewqählet, weil bey der erstern leicht eine Zweydeutigkeit wegen der Ziffern hätte vorgehen können. Man muß mit Unterschied abstoßen, und die Geltung der Note, ob solche ein halber Tackt, Viertheil oder Achtheil ist, ob die Zeit=Maaße hurtig oder langsam, ob der Gedancke forte oder piano ist, erwegen; diese Noten werden allezeit etwas weniger als die Hälfte gehalten. Ueberhaupt kan man sagen, daß das Stossen mehrentheils bey springenden Noten und in geschwinder Zeitmaaße vorkommt.

§. 18. Die Noten welche geschleift werden sollen, müssen ausgehalten werden, <126> man deutet sie mit darüber gesetztem Bogen an.

Dieses Ziehen dauert so lange als der Bogen ist. Bey Figuren von 2 oder 4 solcher Noten, kriegt die erste und dritte einen etwas stärckern Druck, als die zweite und vierte, doch so, daß man es kaum mercket. Bey Figuren von drei Noten kriegt die erste diesen Druck. Bey andern Fällen kriegt die Note diesen Druck, wo der Bogen anfängt. [...]

§. 19. Die bey Fig. IV. befindlichen Noten werden gezogen und jede kriegt zugleich einen mercklichen Druck.

Das Verbinden der Noten durch Bogen mit Puncten nennt man bey dem Claviere eigentlich das Tragen der Töne.

§. 20. Eine lange und affecktuöse Note verträgt eine Bebung, indem man mit dem auf der Taste liegen bleibenden Finger solche gleichsam wiegt; das Zeichen darvon sehen wir bey Fig. IV.(a).

[Zusatz der Ausgabe 1787:]
Der Anfang einer Bebung wird am besten in der Mitte der Geltung der Note gemacht.

<127> [...]

§. 22. Die Noten, welche weder gestossen noch geschleifft noch ausgehalten werden, unterhält man so lange als ihre Hälffte beträgt; es sey denn, daß das Wörtlein TEN: (gehalten) darüber steht, in welchem Falle man sie aushalten muß. Diese Art Noten sind gemeiniglich die Achtheile und Viertheile in gemäßigter und langsamer Zeit=Maaße, und müssen nicht unkräftig, sondern mit einem Feuer und gantz gelinden Stosse gespielt werden.

§. 23. Die kurtzen Noten nach vorgegangenen Punckten werden allezeit kürtzer abgefertiget als ihre Schreib=Art erfordert, folglich ist es ein Überfluß diese kurtze Noten mit Punckten oder Strichen zu bezeichnen. Bey Fig. VII. sehen wir ihren Ausdruck.

Zuweilen erfordert die Eintheilung, daß man der Schreib=Art gemäß verfährt (*). Die Punckte bey langen Noten, ingleichen die bey kurtzen Noten in langsamer Zeit=Masse und auch einzeln werden insgemein gehalten. Kommen aber, zumahl in geschwindem Tempo, viele hintereinander vor, so werden sie oft nicht gehalten, ohngeacht die Schreib=Art es erfordert. Es ist also wegen dieser Veränderung <128> am besten, daß man alles gehörig andeutet, widrigenfals kan man aus dem Inhalte eines Stückes hierinnen vieles Licht bekommen. Die Punckte bey kurtzen Noten, worauf ungleich kürtzere nachfolgen, werden ausgehalten.

§. 24. [...]

§. 25. Bey langen Aushaltungen hat man die Freyheit, die lange gebundene Note dann und wann wieder anzuschlagen.

[...]

§. 27. Seit dem häuffigen Gebrauche der Triolen bey dem so genannten schlechten oder Vier Viertheil=Tackte, ingleichen bey dem Zwey oder Dreyvaiertheil=Tackte findet man viele Stücke, die statt dieser Tackt=Arten offt bequemer mit dem Zwölf, Neun oder Sechs Achttheil=Tackte vorgezeichnet würden. <129> Man theilt alsdann die bey Fig. XII. befindlichen Noten wegen der andern Stimme so ein, wie wir alda sehen. Hierdurch wird der Nachschlag, welcher offt unangenehm, allezeit aber schwer fällt, vermieden.

§. 28. [...]

[Zusatz der Ausgabe 1787:]
Man hüte sich bey dem affectuösen Spielen, daß man nicht zu oft, nicht gar zu sehr anhalte und endlich auch nicht das Tempo hierdurch schleppend mache. Der Affect verführt hierzu gar leicht. Man muß ohngeacht dieser Schönheiten die genaueste Gleichheit der Zeit=Maaße beym Ende eines Stückes beybehalten, wie sie beym Anfange war. Dies ist eine sehr schwere Lection in der Ausübung. Wir finden viele brave Musiker, aber nur wenige, von welchen man in der genauesten Bedeutung mit Recht sagen kan: er endigt so, wie er angefangen hat. Wenn in einem Stücke aus einer harten Ton=Art Gedanken vorkommen, welche in einer weichen Ton=Art wiederholt werden: so kan diese Wiederholung ebenfalls etwas weniges langsamer geschehen des Affects wegen. Beym Eingange in eine Fermate, welche eine Mattigkeit, Zärtlichkeit oder Traurigkeit ausdrückt, pflegt man auch in etwas den Tact anzuhalten. Hierher gehört auch das Tempo rubato. In der Andeutung desselben haben die Figuren bald mehrere, bald wenigere Noten, als die Eintheilung des Tactes erlaubet. Man kan dadurch einen Theil des Tactes, einen ganzen, auch mehrere Tacte, so zu sagen, verziehen. Das Schwereste und Hauptsächlichste ist dieses: daß alle Noten von gleicher Geltung aufs strengste gleich vorgetragen werden müssen. Wenn die Ausführung so ist, daß man mit der einen Hand wider den Tact zu spielen scheint, indem die andere aufs pünctlichste alle Tacttheile anschläget: so hat man gethan, was man hat thun sollen. Nur sehr selten kommen alsdenn die Stimmen zugleich im Anschlagen. Wenn sich das Tempo rubato mit einem Einschnitte endiget, so kan etwas von diesem letztern mit ins Tempo rubato gezogen werden, nur muß das Ende davon mit der Grund=Stimme zugleich da seyn, wie man überhaupt bey diesem Tempo auf solche Art endigen muß. Langsame Noten, schmeichelnde und traurige Gedanken sind alsdenn die geschicktesten. Dissonirende Harmonien schicken sich hierzu besser als consonirende Sätze. Es gehört zur richtigen Ausführung dieses Tempo's viele Urtheils=Kraft und ganz besonders viel Empfindung. Wer beydes hat, dem wird es nicht schwer fallen, mit aller Freyheit, die nicht den geringsten Zwang vertragt, seinen Vortrag einzurichten, und er würde, wenn es seyn müßte, alle Gedanken verziehen können Zur Übung gienge es an, aber weiter nicht. Hingegen wird bey aller Mühe, ohne hinlängliche Empfindung nichts rechtes ausgerichtet können werden. So bald man sich mit seiner Oberstimme sclavisch an den Tact bindet, so verliert dies Tempo sein Wesentliches, weil alle übrige Stimmen aufs strengste nach dem Tacte ausgeführt werden müssen. Außer dem Clavier=Spieler können alle Sänger und Instrumentisten, wenn sie begleitet werden, dieses Tempo viel leichter anbringen als der erstere, zumal, wenn er sich allein begleiten muß. ... Der Baß kan, beym Clavier ohne Begleitung, wenn es nöthig ist, geändert werden, nur muß die Harmonie bleiben. ...

§. 29 [...] Damit man alle Arten vom pianißimo biß zum fortißimo deutlich zu hören kriege, so muß man das Clavier etwas ernsthaft mit einiger Kraft, nur nicht dreschend angreiffen; man muß gegentheils auch nicht zu heuchlerisch darüber wegfahren. Es ist nicht wohl möglich, die Fälle zu bestimmen, wo forte oder piano statt hat, weil auch die besten Regeln eben so viele Ausnahmen <130> leiden als sie festsetzen; die besondere Würckung dieses Schatten und Lichts hängt von den Gedancken, von der Verbindung der Gedancken, und überhaupt von dem Componisten ab, welcher eben so wohl mit Ursache das Forte da anbringen kan, wo ein andermahl piano gewesen ist, und offt einen Gedancken sammt seinen Con= und Dissonanzen einmahl forte und das andere mahl piano bezeichnet. Deswegen pflegt man gerne die wiederhohlten Gedancken, sie mögen in eben derjenigen Modulation oder einer andern, zumahl wenn sie mit verschiednen Harmonien begleitet werden, wiederum erschienen, durch forte und piano zu unterschieden. Indessen kan man mercken, daß die Dissonanzen insgemein stärcker und die Consonanzen schwächer gespielt werden, weil jene die Leidenschafften mit Nachdruck eheben und diese solche beruhigen. Ein besonderer Schwung der Gedancken, welcher einen hefftigen Affeckt erregen soll, muß starck ausgedruckt werden. Die so genannten Betrügereyen spielt man dahero, weil sie offt deswegen angebracht werden, gemeiniglich forte (b). Man kan allenfalls auch diese Regel mercken, welche nicht ohne Grund ist, daß die Töne eines Gesangs, welche ausser der Leiter ihrer Ton-Art sind, gerne das forte vertragen, ohne Absicht, ob es Con- oder Dissonanzen sind, und das gegentheils die Töne, welche in der Leiter ihrer modulirenden Ton-Art stehen, gerne piano gespielt werden, sie mögen consoniren oder dissoniren (c)

[...] <131> Spielt man diese Probe=Stücke auf einem Flügel mit mehr als einem Griffbrette [Tastatur], so bleibt man mit dem forte und piano, welches bey einzeln Noten vorkommt, auf demselben; man wechselt hierinnen nicht eher, als biß gantze Passagien sich durch forte und piano unterscheiden. Auf dem Clavicorde fällt diese Unbequemlichkeit weg, indem man hierauf alle Arten des forte und piano so deutlich und reine heraus bringen kan, als kaum auf manchem andern Instrumente. Bey starcker oder lärmender Begleitung muß man allezeit die Haupt=Melodie durch einen stärckern Anschlag hervorragen lassen.

§. 30. Die verzierten Cadenzen sind gleichsam eine Composition aus dem Stegereif. Sie werden nach dem Inhalte eines Stückes mit einer Freyheit wieder den Tackt vorgetragen. Deßwegen ist die angedeutete Geltung der Noten bey diesen Cadenzen in den Probe=Stücken nur ohngefähr. Sie stellt bloß einiger massen die Geschwindigkeit und Verschiedenheit dieser Noten vor. [...]

<132> §. 31. Das Probe=Stück aus dem F dur ist ein Abriß, wie man heute zu Tage die Allegros mit 2 Reprisen das andere mahl zu verändern pflegt. So löblich diese Erfindung [des Variierens] ist, so sehr wird sie gemißbrauchet. Meine Gedancken hiervon sind diese: Man muß nicht alles verändern, weil es sonst ein neu Stück seyn würde. Viele, besonders die affecktuösen oder sprechenden Stellen eines Stückes lassen sich nicht wohl verändern. Hieher gehört auch dieienige Schreib=Art in galanten Stücken, welche so beschaffen ist, daß man sie wegen gewisser neuen Ausdrücke und Wendungen selten das erste mahl vollkommen einsieht. Alle Veränderungen müssen dem Affeckte des Stückes gemäß seyn. Sie müssen allzeit, wo nicht besser, doch wenigstens eben so gut, als das Original seyn.

[Zusatz der Ausgabe 1787:]
Denn man wählt dey der Verfertigung eines Stückes, unter andern Gedanken, oft mit Fleiß denjenigen, welchen man hingeschrieben hat und deswegen für den besten in dieser Art hält, ohngeachtet einem die Veränderungen dieses Gedanken, welche mancher Ausführer anbringt und dadurch dem Stücke viele Ehre anzuthun glaubt, zugleich der Erfindung desselben mit beygefallen sind.

<133> Simple Gedancken werden zuweilen sehr wohl bunt verändert und umgekehrt. Dieses muß mit keiner geringen Ueberlegung geschehen, man muß hierbey beständig auf die vorhergehenden und folgenden Gedancken sehen; man muß eine Absicht auf das gantze Stück haben, damit die Vermischung des brillanten und simplen, des feurigen und matten, des traurigen und frölichen, des sangbaren und des dem Instrumente eignen beybehalten werde. Bey Clavier=Sachen kan zu gleich der Baß in der Veränderung anders seyn, als er war, indessen muß die Harmonie dieselbe bleiben. Ueberhaupt muß man, ohngeacht der vielen Veränderungen, welche gar sehr in Mode sind, es allezeit so einrichten, daß die Grundliniamenten des Stückes, welche den Affect desselben zu erkennen geben, dennoch hervor leuchten.

[Ende des ersten Teils]

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