C. Ph. E. Bach: Versuch ..., 2. Teil - Einleitung

Vorrede.

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<*1> [...]

Einleitung [§ 1-44]

<1> §. 1. Die Orgel, der Flügel, das Fortepiano und das Clavicord sind die gebräuchlichsten Clavierinstrumente zum Accompagnement.

§. 2. [...]

§. 3. Die Orgel ist bey Kirchensachen, wegen der Fugen, starken Chöre, und überhaupt der Bindung wegen unentbehrlich. Sie befördert die Pracht und erhält die Ordnung.

§. 4. So bald aber in der Kirche Recitative und Arien, besonders solche, wo die Mittelstimmen der Singstimme, durch ein <2> simpel Accompagnement, alle Freyheit zum Verändern lassen, mit vorkommen, so muß ein Flügel dabey seyn. Man höret leyder mehr als zu oft, wie kahl in diesem Falle die Ausführung ohne Begleitung des Flügels ausfällt.

§. 5. Dieses letztere Instrument ist ausserdem beym Theater und in der Cammer wegen solcher Arien und Recitative unentbehrlich.

§. 6. Das Fortepiano und das Clavicord unterstützen am besten eine Ausführung, wo die grösten Feinigkeiten des Geschmacks vorkommen. Nur wollen gewisse Sänger lieber mit dem Clavicord oder Flügel, als mit jenem Instrumente, accompagnirt seyn.

§. 7. Man kan also ohne Begleitung eines Clavierinstruments kein Stück gut aufführen. Auch bey den stärksten Musiken, in Opern, so gar unter freyem Himmel, wo man gewiß glauben solte, nicht das geringste vom Flügel zu hören, vermißt man ihn, wenn er wegbleibt. Hört man in der Höhe zu, so kan man jeden Ton desselben deutlich vernehmen. Ich spreche aus der Erfahrung und jedermann kann es versuchen.

§. 8. Einige lassen sich beim Solo mit der Bratsche oder gar mit der Violine ohne Clavier begleiten. Wenn dieses aus Noth, wegen Mangel an guten Clavieristen, geschiehet, so muß mn sie entschuldigen; sonst aber gehen dey dieser Art von Ausführung viele Ungleichheiten vor. Aus dem Solo wird ein Duett, wenn der Baß gut gearbeitet ist; ist es schlecht, wie nüchtern klingt er ohne Harmonie! Ein gewisser Meister in Italien hatte dahero nicht Ursache, diese Art der Begleitung zu erfinden. Was können nicht für Fehler entstehen, wenn die Stimmen einander übersteigen! oder will man etwa, dieses zu verhüten, den Gesang verstümmeln? Beyde Stimmen halten sich näher bey einander auf, als der Komponist wolte. Und die vollstimmigen Griffe, welche in <3> der Hauptstimme zuweilen vorkommen, wie jung klingen sie, wenn sie nicht ein tiefer Baß unterstützt? Alle Schönheiten, die durch die Harmonie herausgebracht werden, gehen verloren; ein grosser Verlust ist bey affectuösen Stücken.

§. 9. Das vollkommenste Accompagnement beym Solo, dawider niemand etwas einwenden kan, ist ein Clavierinstrument nebst Violoncell.

§. 10. Wir sehen also, daß wir heut zu Tage wegen der Generalbaßspieler eckler sind, als vor dem. Nichts, als die Feinigkeiten der jetzigen Musik, sind hieran Schuld. Man ist nicht mehr zufrieden, einen Accompagnisten zu haben, der als ein wahrer musicalischer Pedant weiter nichts als Ziffern gesehen und gespielet hat; der die dazu gehörigen Regeln auswendig weiß und sie bloß mechanisch ausübt. Man verlangt etwas mehrers.

§. 11. [...]

§. 12. Damit man sich zur Erlernung des Generalbasses hinlänglich geschickt mache, so ist nöthig, daß man vorher eine geraume Zeit gute Handsachen spielt.

§. 13. Gute Handsachen nenne ich die, worinenn eine gute Melodie und reine Harmonie steckt, und wobey jede Hand hinlänglich geübt wird.

§. 14. Das Gehör gewöhnt sich durch diese Beschäftigung bey Zeiten an einen guten Gesang, auf welchen, wie wir in der Folge bemerken werden, beym Accompagnement hauptsächlich mit gesehen wird.

<4> §. 15. Man bekommt einen empfindbaren Begriff von allerhand Tactarten und Zeitmasse, samt ihren Figuren; eine sehr nutzbare Bekanntschaft mit den meisten Aufgaben des Generalbasses; eine Fertigkeit in den Fingern und Leichtigkeit vom Blatte zu spielen; folglich werden durch diese Handsachen zugleich Augen, Ohren und Finger geübt.

§. 16. Das fleißige Anhören guter Musiken, wobey man auf gute Begleiter genau Achtung giebt, ist besonders anzurathen; das Ohr wird dadurch gebildet, und zur Aufmerksamkeit gewöhnt.

§. 17. Diese genaue Aufmerksamkeit läßt keine Schönheit in der Musik ohne Rührung vorbey. Man empfindet sogleich, wie ein Musicus auf den andern genau höret, und seinen Vortrag darnach einrichtet, damit sie vereint den gesuchten Endzweck erreichen. Dieses Lauschen ist überhaupt bey der Musik und also auch beym Accompagnement, ohngeachtet der besten Bezifferung, unentbehrlich.

§. 18. Der heutige Geschmack hat einen ganz andern Gebrauch der Harmonie, als vordem, eingeführet. Unsre Melodien, Manieren und der Vortrag erfordern dahero eine andere Harmonie, als die gewöhnliche. Diese Harmonie ist bald schwach, bald stark, folglich sind die Pflichten eines Begleiters heut zu Tage von einem weit grössen Umfange, als ehemals, und die bekannten Regeln des Generalbasses wollen nicht mehr zureichen, und leiden auch oft eine Abänderung.

§. 19. Ein Accompagnist muß also jedem Stücke, welches er begleitet, mit dem rechten Vortrag die ihm zukommende Harmonie, und zwar in der gehörigen Stärke und Weite gleichsam anpassen. Er muß hierinnen dem Componisten auf das genaueste zu folgen suchen, und zu dem Ende beständig auf die <5> Ripienstimmen mit gut Achtung geben. Ist aber keine Harmonie in Mittelstimmen ausgesetzt, z.E. beym Solo, oder Trio, so wird die Begleitung ganz allein nach dem Affecte des Stückes und dem Vortrag der Mitmusicirenden eingerichtet, damit die Absichten des Componisten und der Ausführer befördert werden.

§. 20. Auch hier ist das Vorhersehen auf die Folge ebenso nöthig, als beym Notenlesen überhaupt.

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