Joan Sutherland zum 65. Geburtstag

Dieser Beitrag ist entstanden als
Sendemanuskript für die DEUTSCHE WELLE, Köln
(Red. Zentraldienst Musik)

MUSIK 001:

Gaetano Donizetti:
Lucia di Lammermoor;
daraus: Wahnsinnsarie.

Decca 421 305-2 <Tr. 6.> (Ausschnitt)

Die Karriere der Joan Sutherland begann 1959 im Opernhaus von Covent Garden, als sie die Titelpartie in Donizettis "Lucia di Lammermoor" sang. Die Wahnsinnsarie der Lucia riß das Publikum zu minutenlangen Beifallsstürmen hin, und am nächsten Morgen konnte man in den Kulturspalten der Londoner Zeitungen lesen, daß hier jemand angetreten sei, die Callas vom Thron zu stürzen. Eine Palastrevolution in Primadonnen-Kreisen? Sicherlich war Joan Sutherland damals geschmeichelt, daß man sie mit Maria Callas, der unbestrittenen "Primadonna assuluta" aus Griechenland verglich, aber (wie sie auch heute noch immer wieder betont) nichts lag ihr ferner als zu der Callas in Konkurrenz zu treten.

Und dennoch: Ob gewollt oder nicht, hat Joan Sutherland, 1926 in Australien geboren (und damit nur drei Jahre jünger als die Callas), deren musikalisches Erbe angetreten, als die Callas ihren sängerischen Zenith überschritten hatte. Gut drei Jahrzehnte hat sie eben jenes Repertoire gepflegt, das die Callas in der Neuzeit wieder gesellschaftsfähig gemacht hatte: die italienischen Belcanto-Opern des frühen 19. Jahrhunderts - Donizetti und Bellini. Es ist eine Gesangskunst, die ein Höchstmaß an Virtuosität und Durchhaltevermögen verlangt, und die trotz aller Kraftanstrengung immer leicht klingen muß.

MUSIK 002:

Vincenzo Bellini:
Norma;
daraus: Szene der Norma ...

Decca 421 305-2 <Tr. 1.> (Ausschnitt)

Daß gerade der Belcanto ihr Fach werden würde, hätte Joan Sutherland nicht zu träumen gewagt. Die Höhen seien zu Anfang ihrer Laufbahn als Sängerin nie ihre Sache gewesen, schreibt sie in ihrer Autobiographie; in jungen Jahren tendierte sie eher zu voluminöseren Rollen: Sie sang die Aida, die Eva in Wagners "Meistersingern", diverse kleinere Partien im "Ring" und in frühen Strauss-Opern - bis Richard Bonynge, der Dirigent und ihr späterer Ehemann, auf die Stimme aufmerksam wurde und die Sutherland davon überzeugte, daß sie die geborene Koloratur-Sopranistin sei.

In einem Interview äußerte sie einmal, wer in der Opernwelt überleben wolle, müsse schon die Konstitution eines Pferdes besitzen. - Aber man darf auch eine "Pferdenatur" nicht überstrapazieren. Joan Sutherland unterwarf sich eisern dem Diktat der sängerischen Ökonomie: Wenn es irgend ging, war sie zurückhaltend mit Auftritten. Sie verabscheute das andauernde Jetset-Springen von einem Kontinent zum anderen, weil sie frühzeitg erkannte, daß Zeitverschiebung, Klimaumstellung und die "air-konditionierte" trockene Flugzeugluft der Stimme schaden. Sie weigerte sich, gegen Hundert-Mann-Orchester anzusingen, und sie ließ sich Zeit mit ihren Rollen. 15 Jahre lang sang sie in "Hoffmanns Erzählungen" nur die Antonia und die Giulietta, bevor sie 1970 in Seattle (mit Bravour) alle vier weiblichen Hauptpartien bestritt.

MUSIK 003:

Jacques Offenbach:
Hoffmanns Erzählungen;
daraus: Arie der Olympia.

Decca 425 605-2 <Tr. 1.>

Es war eine stetige, aber anfangs nicht gerade steile Karriere. 1947 debütierte Joan Sutherland in Sydney in Purcells "Dido und Aeneas". Sie gewann einige nationale Sängerwettbewerbe und nutzte die Preisgelder dazu, sich in England zu etablieren. An der Covent Gaden Oper wurde man erstmals auf sie aufmerksam, als sie für die erkrankte Sängerin der Agathe im "Freischütz" einsprang. 1959 dann kam der Durchbruch mit der Lucia di Lammermoor, und im Jahr darauf präsentierte sie sich in Venedig mit Händels "Alcina" - eine Aufführung, die ihr den Titel "La Stupenda" (die Außerordentliche) einbrachte, den sie fortan gleichsam als Markenzeichen führte. Nach ihrem Auftritt an der Metropolitain Opera 1961 schrieb der Musikkritiker der New York Times:

"Es gibt andere Sängerinnen aus ihrer Generation mit größeren Stimmen oder die einen lieblicheren Klang haben; die Callas mag ihr an Temperament überlegen sein, aber es gibt keine, die diese perfekte Verbindung von Technik, stimmlicher Sicherheit, Klarheit und Finesse besitzt wie die Sutherland."

Dieses Lob beschreibt indirekt aber auch eine der Schwächen ihres Gesangs. Während die Callas die emotionalen Tiefen und dramatischen Wirkungen auslotete, bleiben die Rollencharaktere bei Joan Sutherland häufig farblos. Sie wirkt wie ein reines Kunstprodukt. Im Vordergrund scheint mehr der virtuose stimmliche Effekt zu stehen: die überbordenden Koloraturen, die Spitzentöne, die gestochen sauberen Triller und die Beweglichkeit in den Passagen. Es herrscht mitunter die schiere Freude am reinen Gesang, so daß der Text immer nebensächlicher wird und die Artikulation zu einer bloßen Aneinanderreihung von Vokalen gerät.

Doch angesichts der sängerischen Leistungen sind solche Einwände dies fast schon als Haarspalterei anzusehen. Dreißig Jahre lang hat Joan Sutherland auf der Bühne und im Schallplatten-Studio demonstriert, wie virtuoser Gesang klingen kann. Sie hat nicht nur den Belcanto des frühen 19. Jahrhunderts gepflegt, sondern ebenso selbstverständlich die Barockmusik, Opern von Piccinni, Bononcini und Graun, von denen man sonst allenfalls die Titel kennen würde. 1979 wurde ihr von Elisabeth II., Königin von England der Adelstitel "Dame of the British Empire" verliehen.

MUSIK 004:

Niccolo Piccinni:
La buona figliuola;
daraus: "Furia di donna irata".

Decca 421 881-2 <Tr. 1.>

Die berüchtigten Primadonnen-Rivalitäten sind Joan Sutherland immer fremd gewesen: An die Stelle überspannter pseudo-künstlerischer Hysterie hat sie konzentrierte, professionelle Arbeit gesetzt; ihre Freundschaft mit der Mezzosopranistin Marilyn Horne hat der Opernwelt einige der berückendsten Duette beschert, und nicht zuletzt hat sie sich immer wieder für unbekannte, aber talentierte Künstler eingesetzt, wie seinerzeit für Luciano Pavarotti.

Letztes Jahr zu Sylvester hat sie an der Stätte ihrer ersten internationalen Triumphe, an der Covent Garden Oper, ihre Abschiedsvorstellung gegeben. Am .. November feiert Joan Sutherland, "La Stupenda" - die große Dame des Belcanto, ihren 65. Geburtstag.

MUSIK 005:

Giuseppe Verdi:
La Traviata;
daraus: Szene der Violetta.

Decca 425 605-2 <Tr. 6.>

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