Schülerinnen von Clara Schumann

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Deutschlandfunk, Köln
(Sendung: 12.5.1990 - "Historische Aufnahmen")

Exposé

Goethe sagte von ihr, sie habe mehr Kraft in den Fingern als sechs Knaben. Clara Wieck (1819-96) war damals gerade zwölf Jahre alt und versetzte mit ihrem Klavierspiel ganz Europa in Erstaunen. Als Wunderkind und gefeierte Konzertpianistin war sie bis 1840 Robert Schumanns (kindliche) Muse; in ihrer Ehe ordnete sie sich als treusorgende Gattin und aufopfernde Mutter von sieben Kindern unter; aber nach Schumanns Selbstmord mußte sie den Lebensunterhalt für ihre Familie wieder mit Konzerten und Klavierunterricht verdienen.

Clara Schumann als Lehrerin: Aufgewachsen war sie in der Tradition der Wiener Klassik, sie war befreundet mit Brahms und kannte die großen Virtuosen des 19. Jahrhunderts. Dieses Wissen hat sie ihren Schülern und Schülerinnen weitergegeben. Die Aufnahmen von Fanny Davies, Ilona Eibenschütz und Adelina de Lara, die zumeist in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts entstanden sind, zählen zu den seltenen Dokumenten romantischer Musikinterpretation.

Sendemanuskript
Musik-Nr.: 01
Komponist: Robert Schumann
Werk-Titel: Kinderszenen op. 15
Auswahl: Nr. 1 (Von fremden Ländern und Menschen) <Seite 1, Tr. 1.> 1:10
Interpreten: Adelina de Lara (Klavier)
Label: Pearl (LC ____)
GEMM 296
<Seite 1, Tr. 1.> Gesamt-Zeit: 1:10
Archiv-Nummer: ____

Als Robert Schumann 1838 seine "Kinderszenen" komponiert hatte, schrieb er an seine Verlobte Clara Wieck:

War es doch wie ein Nachklang von Deinen Worten einmal, wo Du mir schriebst, ich käme Dir auch manchmal wie ein Kind vor. Kurz, er war mir ordentlich wie im Flügelkleid zumute, und da habe ich an die dreißig kleine putzige Dinger geschrieben und "Kinderszenen" genannt.

Clara Wieck war damals 19 Jahre alt und eine in ganz Europa bewunderte Pianistin. Mit 21 heiratete sie Robert Schumann; sechzehn Jahre später war sie Witwe und mußte für den Lebensunterhalt ihrer sieben Kinder sorgen.

Da sie das unstete Leben als Konzertpianistin wegen ihrer Kinder nur bedingt wiederaufnehmen konnte, verlegte sich Clara Schumann hauptsächlich aufs Unterrichten. Sie leitete eine Meisterklasse für Klavier am Hoch'schen Konservatorium in Frankfurt am Main und gab daneben auch privaten Unterricht. Eine ihrer Schülerinnen, Adelina de Lara, hat die Klavierstunden so beschrieben:

Frau Doktor (wie wir sie alle nannten) unterrichtete immer in Gruppen von fünf oder sechs Schülern, so daß jeder von jedem lernen konnte. Zweimal in der Woche hatten wir Unterricht; es begann mit Bach oder Scarlatti, dann kamen größere Werke von Schumann, Brahms oder Beethoven an die Reihe, und zum Schluß Chopin und Mendelssohn. Sie verlor nie die Geduld und schimpfte mit keinem von uns. Wenn ihr unser Spiel gefiel, blieb sie ruhig bis zum Schluß. Wenn es nicht nach ihrem Geschmack war, ließ sie uns aufstehen und spielte vor, wie es zu klingen hatte. Dies waren dann die schönsten Augenblicke: In ihren Fingern spürte man die ganze Tradition. Sie schrieb nur selten Anmerkungen in unsere Noten und entschuldigte sich gleich: "Ihr könnt zuhause alles wieder ausradieren."

Adelina de Lara war 14 Jahre, als sie 1886 Schülerin von Clara Schumann wurde. 1891 gab sie ihr Debüt in ihrer Heimatstadt London, doch bald schon zog sie sich vom Konzertleben zurück, weil ihr das Lampenfieber zu schaffen machte. Die Schallplatten-Aufnahmen mit ihr entstanden unter großen Schwierigkeiten in den Jahren 1951 und 1952. Es muß nicht immer einfach gewesen sein, die mittlerweile achtzig Jahre alte Dame von der Bedeutung ihres Klavierspiels zu überzeugen. Den Einspielungen selber ist von diesen Schwierigkeiten jedoch nichts anzumerken, wie die vorliegende Aufnahme von Brahms' Rhapsodie in g-moll vom März 1951 beweist:

Musik-Nr.: 02
Komponist: Johannes Brahms
Werk-Titel: Rhapsodie g-moll, op. 79,2
Interpreten: Adelina de Lara (Klavier)
Label: Pearl (LC ____)
GEMM 299
<Seite 2, Tr. 3.> Gesamt-Zeit: 7:20
Archiv-Nummer: ____

Auffallend (wie auch bei allen anderen Schülerinnen von Clara Schumann) ist die Wahl des Tempos: eher gemessen und dem melodischen Fluß angepaßt als zu schnell. In ihren Lebenserinnerungen berichtet die de Lara, daß

Frau Doktor die Hände gerungen hat, wenn ein Schüler versuchte, eine rasche Stelle mit bloßer Virtuosität herunterzurasseln. "Die Schönheiten auskosten! Niemals darüber hinwegeilen!" ist ihr ständiges Credo gewesen.

Auffälliger ist dies umsomehr, als Clara Schumann zeitlebens der Vorwurf gemacht wurde, sie spiele die Werke ihres Mannes und ihrer Freunde viel zu gehetzt und schnell.

Die wohl bedeutendste Schülerin von Clara Schumann ist unbestreitbar die 1861 in England geborene Fanny Davies gewesen. Als sie 1883 nach Frankfurt kam, war sie im Hause Schumann nicht nur als Schülerin gelitten, sondern wurde bald schon in den engeren Freundeskreis um Johannes Brahms und den Geiger Joseph Joachim miteinbezogen. Ende des 19. Jahrhunderts konzertierte sie in ganz Europa und zählte zu den Großen ihrer Zunft.

Die alten Wachszylinder-Aufnahmen aus jener Zeit (mit ihren Nebengeräuschen) lassen allerdings nur wenig von dem Können der Fanny Davies erkennen. Einen besseren Eindruck ergeben die Schellack-Aufnahmen aus den Zwanziger Jahren. Auch ihr Klang ist (bei unseren Stereo-verwöhnten Ohren) gewöhnungsbedürftig, doch wird dies wettgemacht durch die musikalischen Qualitäten und die Spielfreude, die Fanny Davies ausstrahlt, wie etwa in der Einspielung von Schumanns Klavierkonzert mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Ernest Ansermet.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Robert Schumann
Werk-Titel: Klavierkonzert a-moll, op. 54
Auswahl: 3. Satz <Track 3.> 10:55
Interpreten: Royal Philharmonic Orchestra
Fanny Davies (Klavier)
Ltg.: Ernest Ansermet
Label: Pearl (LC ____)
GEMM CD 9291
<Track 3.> Gesamt-Zeit: 10:55
Archiv-Nummer: ____
Technik: MUSIK bei Track-Beginn einblenden

Clara Schumann hatte eine ganze Reihe von Schülern, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts öffentlich auftraten. Schallplattenaufnahmen sind allerdings nur von den wenigsten erhalten. Die 1873 in Budapest geborene Ilona Eibenschütz galt schon mit sechs Jahren als sogenanntes "Wunderkind", ohne daß sie je gründlichen Klavierunterricht erhalten hätte. Als sie dreizehn Jahre alt war, ermöglichte es ein adliger Mäzen, daß sie Unterricht bei einem guten Pianisten Unterricht erhielt. Liszt war damals schon zu alt, Anton Rubinstein andauernd auf Konzert-Tourneen, und so kam nur Clara Schumann in Frage. Clara Schumann erkannte auf Anhieb die Stärken und die Schwächen ihrer neuen Elevin:

Sie spielen brillant, aber sie denken nur an sich selbst. Viel wichtiger ist es, am Klavier das auszudrücken, was der Komponist empfunden hat.

Liest man die Konzert-Kritiken über Ilona Eibenschütz aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts, so scheint es, daß sie damals in der Tat ein wahres Energiebündel gewesen ist: hektisch und bisweilen auch unkontrolliert. Die folgenden Aufnahmen mit ihr entstanden zu einer Zeit, als sie sich längst vom Konzertleben zurückgezogen hatte. Die Romanze in Fis-Dur, op. 28 Nr. 2 spielte sie als fast 80-Jährige 1950 ein, der private Mitschnitt des Brahms-Walzers entstand 1962.

Musik-Nr.: 04
Komponist: Robert Schumann
Werk-Titel: Romanze Fis-Dur, op. 28,2
Interpreten: Ilona Eibenschütz (Klavier)
Label: Pearl (LC ____)
GEMM 292
<Seite 2, Tr. 1.> Gesamt-Zeit: >3:10
Archiv-Nummer: ____
Musik-Nr.: 05
Komponist: Johannes Brahms
Werk-Titel: Walzer op. 39,15
Interpreten: Ilona Eibenschütz (Klavier)
Label: Pearl (LC ____)
GEMM 292
<Seite 2, Tr. 4.> Gesamt-Zeit: 1:10
Archiv-Nummer: ____
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