François Couperin: Les Nations / Apothéose de Lully

Dieser Beitrag ist entstanden als
Programmtext für die Bach-Tage Berlin 4.7.1992

Les Nations

Die Musikgeschichte Frankreichs im 17. und 18. Jahrhundert war bestimmt von der Angst der Franzosen, daß der italienische gusto über den französischen gout die Vorherrschaft erlangen könnte: Seit 1640 hatte Mazarin versucht, die italienische Oper nach Paris heimisch zu machen - mit dem (ungewollten) Ergebnis, daß der Florentiner Giovanni Battista Lulli sich auf die Seite der Franzosen schlug und als Antwort auf die italienische Oper die tragédie lyrique ins Leben rief. Die Situation in der Instrumentalmusik war ähnlich: Während die Italiener ihre Sonaten und Concerti nach dem Muster Corellis propagierten, pflegten die Franzosen ihre Ballets und Suiten.

Couperins "Apotheose zum unsterblichen Gedächtnis des unvergleichlichen Monsieur de Lully" (1725) und seine Sammlung "Les Nations" (1726) spiegelt eben jenes Spannungsverhältnis wider. Seine eigene ästhetische Position war bei den Zeitgenossen umstritten. Während Couperins Kritiker ihn einen "serviteur passionne de l'Italie" (einen leidenschaftlichen Diener des Italienischen) schimpften, propagierte er selbst die "reunion des deux gouts", einen Stil, in dem sich die Gegensätze der französischen und italienischen Schreibart zu einer Einheit fügen:

Der italienische und der französische Geschmack haben seit langer Zeit die Musik in diesem Land gespalten. Ich für meinen Teil habe jedoch immer die Dinge geschätzt, die es Wert waren, ohne Ansehen von Autoren oder Völkern. Die ersten italienischen Sonaten, die vor über dreißig Jahren in Frankreich erschienen, haben mich ermutigt, selbst welche zu komponieren. Ich glaube nicht, daß sie meinem Geist oder den Werken des Herrn Lully noch denen meiner Vorfahren geschadet haben ...

Die Sammlung "Les Nations" veröffentlichte Couperin 1726, wobei mindestens drei der vier Suiten älteren Datums sind. Über die Entstehung der Sonate von "La Françoise" heißt es im Vorwort:

Die erste Sonate dieser Sammlung war die erste, die ich geschrieben habe und die überhaupt in Frankreich entstanden ist. Ihre Geschichte ist bemerkenswert. Von den Sonaten des Signor Corelli, dessen Werke ich zeitlebens bewundern werde, war ich ebenso angetan wie von den Werken Lullys. So wagte ich es, selbst eine Sonate zu komponieren [...] Ich gab vor, daß ein Verwandter mir die Sonate aus Italien geschickt habe, und stellte die Buchstaben meines Namens so um, daß er italienisch klang. Unter dem Deckmantel meines Pseudonyms empfing ich eine Menge Beifall. Zum Glück gewannen mir die Sonaten soviele Freunde, daß mir der Betrug später nicht nachgetragen wurde.

Steckt aber nicht doch eine gehörige Portion Ironie dahinter, wenn Couperin ausgerechnet "La Françoise" mit Importware, mit einer italienischen Sonata da camera eröffnet? Mit der ersten Sonate, die in Frankreich entstanden ist und die dazu noch von einem französischen Komponisten stammt?

Musikalisch gesehen ist Couperins Versuch, die nationalen Gegensätze miteinander zu verschmelzen, geglückt. Italienische Melodik und Harmonik durchdringen geichermaßen die Sonaten- und Suitensätze und verbinden sich organisch mit den polyphonen Satzstrukturen der französischen Kammermusik und mit den für die französische Musik so typischen Verzierungen.

Apothéose de Lully

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Um die Vereinigung der beiden Stile ging es Couperin auch in seiner "Apotheose zum unsterblichen Gedächtnis des unvergleichlichen Monsieur de Lully". Allerdings lassen der hochtrabend pathetische Titel und die ironisch-programmatischen Erläuterungen zu den einzelnen Sätzen an Couperins Bewunderung für Lully durchaus zweifeln:

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