Johann Friedrich Fasch: Ouvertüren

Dieser Beitrag ist entstanden als
Programmtext für die Bach-Tage Berlin 1993

Es ist ein merkwürdig Ding mit dem Ruhm. Obwohl Johann Friedrich Fasch von seinen Zeitgenossen und der musikalischen Nachwelt hoch geschätzt wurde, zählt er im heutigen Konzertleben eher zur Gruppe jener Kleinmeister, die viel, aber nur wenig Gehaltvolles geschrieben haben. Immerhin: Der Musikgelehrte Johann Adolf Scheibe lobte Fasch in einem Atemzug mit Telemann, Johann Sebastian Bach besaß Abschriften mehrerer Konzerte und Ouvertüren Faschs und der Musikerbiograph Johann Adam Hiller bescheinigte 1784 Faschs Kompostionen

"viel Reichthum und Vollheit der Harmonie; sein Gesang [die melodische Gestaltung] ist männlich und gesetzt; der gebundenen fugirten Schreibart war er sehr gewachsen, wovon eine Menge Ouverturen zeugen."

Zu Beginn dieses Jahrhunderts war es dann Hugo Riemann, der den fortschrittlichen Charakter von Faschs Musik erkannte und sich für eine künstlerische Rehabilitierung des Komponisten einsetzte:

Man wird nicht umhin können, ihn fürderhin zu den hervorragendsten Zeitgenossen J.S. Bachs zu rechnen, aber nicht nur zu den besten Vertretern des Stils, den Bach auf die Höhe der Vollendung führte, sondern zugleich zu den wichtigsten Bahnbrechern der neuen Schreibweise, welche seit Haydn und Mozart die ältere gänzlich verdrängte. Fasch gehörte zu den Neuerern, welche die Instrumentalmusik ganz auf eigene Füße stellten und die fugierte Schreibweise durch die moderne thematische verdrängten.

Geboren wurde Johann Friedrich Fasch am 15. April 1688 in Buttelstädt, einem zwischen Weimar und Buttstädt liegenden Städtchen. Nach dem Tod des Vaters erhielt der Zehnjährige wegen seiner wohlklingenden Sopranstimme eine Diskantistenstelle in der Weissenbergischen Kapelle. Aber schon drei Jahre später bemühte er sich, an der Thomasschule in Leipzig aufgenommen zu werden, und er war der erste, den der damals zum Cantorat berufene Kuhnau, im Jahre 1701 auf die Thomasschule aufnahm - wie Fasch nicht ohne Stolz in seiner autobiographischen Skizze anmerkte. In Leipzig gründete er ein Collegium musicum, ein Studentenorchester, das bald schon bei gesellschaftlichen Anlässen und Gottesdiensten aufspielte:

Endlich hatte ich gar die Verwegenheit, da die Telemannischen Ouverturen bekannt wurden, auch eine auf solchen Schlag zu versuchen. Ich setzte sie auf, und da die Primaner ein Collegium Musicum hielten, gab ich sie unter dessen Nahmen zur Probe hin, und sie glaubten, zu meiner Freude, daß solche von Ihm wäre. Bey dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, es öffentlich zu bekennen, daß ich aus meines geehrtest= und geliebstesten Freundes, des Herrn Capellmeister Telemanns schönen Arbeit damahlen meist alles erlernete, indem ich solche mir, besonders bey den Ouverturen, beständig zum Muster nahm.

Fasch war (was damals nicht selten vorkam) Autodidakt. Das Klavierspielen hatte er sich ebenso selber beigebracht wie das Komponieren. Er komponierte, wie er zugab, ohne eine einzige Regel der Composition zu wissen, und doch fand seine Schreiberey so viel Beyfall, daß ihn der Hof zu Naumburg 1711 sogar mit mehreren Opern beauftragte. Die Kompositionen (die leider nicht erhalten sind) fanden allem Anschein nach großen Anklang, doch trotz seiner Erfolge entschloß sich Fasch, seine Begabung auf solide Beine zu stellen. Er begab sich nach Darmstadt, um bei dem dortigen Kapellmeister Christoph Graupner das kompositorische Handwerk von Grund auf zu erlernen.

So abenteuerlich sein Werdegang, so beschaulich entwickelte sich sein späteres Leben: eine Anstellung als Sekretär und Kammerschreiber in Gera, später eine Organistenstelle in Greitz, ein kurzes Zwischenspiel beim böhmischen Grafen Morzin, bis er schließlich 1722 an den Hof von Zerbst kam, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1758 als Kapellmeister den Dienst versah. Zwei Monate nach seinem Dienstantritt in Zerbst wurde Fasch vom Leipziger Magistrat aufgefordert, er möge sich um das Amt des Thomaskantors bewerben, das nach dem Tode Kuhnaus vakant war. Die Bewerbung scheiterte indes, da Fasch sich nicht in der Lage sah, den ebenfalls obligatorischen Lateinunterricht an der Thomasschule zu erteilen. Das Thomaskantorat erhielt dann bekanntlich sein Mitbewerber Johann Sebastian Bach.

Als Komponist war Johann Friedrich Fasch vor allem wegen seiner Ouvertüren hoch angesehen. Der Ausdruck Ouvertüre bezeichnete im 17. und 18. Jahrhundert eine Folge von Tanzsätzen, die von einer ausladenden feierlich-gravitätischen Eröffnung angeführt wurden. Die sich anschließenden Tänze folgten meist einer stereotypen Ordnung: Allemande - Sarabande - Courante - Gique. Zu Zeiten Bachs und Telemanns wurde diese Abfolge immer stärker durchsetzt durch sogenannte Charakter-Tänze, die unter dem Namen "Galanterien" sehr in Mode waren. Bei Fasch schließlich ist von dem traditionellen Formgerüst kaum noch etwas übrig geblieben: Die Tanzsätze sind nurmehr rhythmisch pointierte Bindeglieder zwischen den freier gestalteten Airs.

Ein Zeitgenosse Faschs, der Musikgelehrte Johann Mattheson, hat verschiedentlich den Versuch unternommen, das Wesen der einzelnen Tänze in Worte zu fassen. Die einleitende Ouvertüre beschreibt er als

Musik, deren Charakter die Edelmuth seyn muß, und die mehr Lobes verdient, als Worte hieselbst Raum haben.

Über die Gavotte heißt es:

Ihr Affect ist wircklich eine rechte jauchzende Freude,

während das Menuett

keinen andern Affect als eine mässige Lustigkeit kennt.

Die Bourrée ist indes

eine Melodie, die mehr fliessendes, glattes, gleitendes und an einander hängendes hat, als die Gavotte. Ihr eigentliches Abzeichen beruht auf der Zufriedenheit, und einem gefälligen Wesen beruhe, dabey gleichsam etwas unbekümmertes, oder gelassenes, ein wenig nachläßiges, gemächliches und doch nicht unangenehmes vermacht ist.

Zu den hurtigen Melodien gehöret noch

Le Passepied. Sein Wesen kömmt der Leichtsinnigkeit ziemlich nah: denn es finden sich bey der Unruhe und Wanckelmüthigkeit eines solchen Passepied lange der Eifer, der Zorn oder die Hitze nicht, die man bey einer flüchtigen Gique antrifft. Inzwischen ist es doch auch eine solche Art der Leichtsinnigkeit, die nichts verhaßtes oder misfälliges, sondern vielmehr was angenehmes an sich hat: so wie manch Frauenzimmer, ob es gleich ein wenig unbeständig ist, dennoch ihren Reitz dabey nicht verlieret.

Was die Orchesterbesetzung anbelangt, zeigt Fasch eine Vorliebe für die kontrastierende Wirkung von Blasinstrumenten und Streichorchester. Am Schluß seiner Ausführungen über die Concertouverture bemerkte Johann Adolf Scheibe in seinem Critischen Musicus dazu:

"Insbesondere aber sind solche Ouverturen am angenehmsten, wenn ein paar Hoboen und ein Baßon [Fagott] mit einem harmonirenden Trio in der Mitten dann und wann abwechseln. Sie müssen aber nicht viel arbeiten, sondern in einer reinen Harmonie mit einander fortgehen, oder einander nur in etwas nachahmen; die übrigen Instrumente wechseln dann mit ihnen ab. [...] Unter den Deutschen haben sich wohl Telemann und Fasch in dieser Art von Ouverturen am meisten gewiesen."

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