Georg Friedrich Händel:
L'Allegro, il penseroso ed il moderato

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Deutschlandfunk, Köln (Konzertdokument)

Der Titel L'Allegro, il penseroso ed il moderato lautet wörtlich übersetzt "Der Fröhliche, der Nachdenkliche und der Gemäßigte" - oder in sprachlicher Überspitzung: "Der Genußsüchtige, der Asket und der Maßvolle". Damit ist auch schon der inhaltliche Rahmen dieses Werks abgesteckt: Händel erzählt hier keine biblische oder mythologische Geschichte (mit dramatischer Zuspitzung und schließlicher Auflösung) wie in seinen sonstigen Oratorien, und so gibt es denn auch keine Handlung im eigentlichen Sinne. Dem Komponisten geht es vielmehr darum, Aspekte einer sittlich-verantwortungsvollen Lebensführung mit musikalischen Mitteln zu schildern. Entsprechend hat Händel auch die Gattungsbezeichnung gewählt: Nicht Oratorium, sondern Pastoral-Ode hat er seine Komposition genannt.

Die ersten beiden Teile der Pastoral-Ode sind gleichsam ein argumentativer Schlagabtausch zwischen dem Genußsüchtigen und dem schwermütigen Asketen. Während der Genußmensch die Freuden des Lebens besingt, den Liebreiz der Natur bei Tageslicht und die rege Betriebsamkeit der Menschen in den Städten, hängt der Asket seiner melancholischen Stimmung nach und preist die Dunkelheit der Nacht.

Die Komposition beginnt, ganz unerwartet, ohne Ouvertüre oder Einleitungschor. Aber wir wissen aus dem Programmzettel der Uraufführung, daß Händel den einzelnen Teilen ein neu komponiertes Concerto grosso bzw. ein Orgelkonzert vorangestellt hatte.

Musikeinspielung 001

Händel komponierte die Pastoral-Ode im Januar 1740, also in einer Phase, als sich abzeichnete, daß das von ihm ins Leben gerufene Opern-Unternehmen seinem Ende zuging. Der englische Hochadel und die Londoner Bevölkerung, die in den Jahren zuvor die italienische Oper zunächst mit Begeisterung aufgenommen hatten, zeigten zunehmend Ermüdungserscheinungen. Die fremde Sprache, die verworrenen, undurchschaubaren Handlungsstränge und nicht zuletzt die andauernden Skandale und Intrigen der Primadonnen und Kastraten hatten nur wenig gemein mit der englischen Mentalität und Lebenswirklichkeit. Die Opernaufführungen waren immer schlechter besucht, und Händel mußte sich nach neuen Möglichkeiten umschauen, sein Publikum zu fesseln.

Als textliche Grundlage für die Pastoral-Ode L'Allegro, il penseroso ed il moderato dienten Händel zwei allegorische Gedichte des englischen Dichters John Milton, die dieser ein Jahrhundert zuvor - im Jahre 1637 - eröffentlicht hatte. Milton hatte in diesen beiden Gedichten das gegensätzliche Lebensgefühl der damaligen Menschen personifiziert: die Lebensfreude des Renaissance-Menschen auf der einen Seite und das düster-ernste Puritanertums, wie es sich damals in England auszubreiten begann. Obwohl die beiden Gedichte nicht direkt aufeinander Bezug nehmen, besitzen sie einen ähnlichen inhaltlichen Aufbau: Die poetischen Bilder kreisen zunächst um die Natur und die äußere Landschaft und zielen erst allmählich auf das Wesen des Menschen.

1739 nun machte sich der Literat Charles Jennens daran, diese beiden Milton-Gedichte für Händel zu bearbeiten. Um die Gegensätzlichkeit der Charaktere deutlicher herauszuarbeiten, verwob er beide Gedichte miteinander und kürzte den Text um etwa ein Drittel. Was für den literarischen Anspruch einer Zerstörung gleichkommt, bot einem Komponisten wie Händel die Gelegenheit, alle Register der musikalischen Affektausdeutung zu ziehen.

Musikeinspielung 002

Gemäß der literarischen Vorlage, den beiden Gedichten von John Milton, müßte Händels Pastoral-Ode hier schließen. Die Gegensätze vom Genußmenschen auf der einen Seite und vom schwermütig-melancholischen Grübler auf der anderen Seite lassen sich - so zumindest sah es Milton - nicht auf poetischer Ebene lösen, sondern nur durch beherztes Handeln. Das Ideal des Dichers war für ihn - so paradox es klingen mag - der Mensch der Tat, der sich nicht in schönen Phrasen oder grüblerischen Gedanken verliert.

Für den Komponisten Händel und seinen Textdichter Charles Jennens wäre ein solcher Schluß jedoch eine unbefriedigende Lösung gewesen. Und so erklärt sich auch der dritte Teil, den Jennens hinzudichtete: Das Maßvolle bildet die ausgleichende Kraft zwischen Genußsucht und melancholischer Grübelei. Den in der Barockzeit so beliebten Gefühls-Extremen setzt das rationalistische 18. Jahrhundert das harmonisierende Moment entgegen. Es gibt keine schlechten oder verwerflichen Leidenschaften, solange sie vom Willen und Verstand kontrolliert werden. Der Händel-Biograph Friedrich Chrysander faßte den Schluß in die Worte:

Was der Poesie nicht mehr möglich war, vermochte Händels Musik: Sie besitzt die Macht, einer dritten Stimmung soweit Bahn zu brechen, daß die beiden anderen ohne Darangabe ihrer Eigentümlichkeit in ihr einen gemeinsamen Mittelpunkt finden konnten. Während "Allegro" und "Penseroso" in poetischer Hinsicht zwei Gemütsbestimmungen darstellen, die einander ausschließen, so bezeichnen sie zusammen mit dem "Moderato" die drei grundlegende Ausdrucksweisen der Musik, von denen keine der anderen das Gebiet streitig macht, die zueinander gehören und insgesamt das Reich der Tonkunst bilden.

Musikeinspielung 003

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