Von einem der auszog, den Engländern die Oper zu bringen -
Georg Friedrich Händel in London

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Süddeutschen Rundfunk, Stuttgart
(Alte Musik kommentiert, 20.7.1993)

Exposé:

Händels Opern gelten gemeinhin als Höhepunkte der abendländischen Musikgeschichte. Aber seine Bemühungen, die italienische Oper in England zu etablieren, waren nicht sonderlich erfolgreich. In den Ohren der Londoner Musik-Kritiker führte das Opern-Genre ein lächerliches Zwitterdasein: irgendwo angesiedelt zwischen ernsthaftem Schauspiel und unterhaltsamer Musikdarbietung, wegen ihres Aufwandes sündhaft teuer und in einer Sprache, die niemand verstand. Die einen nannten sie einen "geschickt vertonten Unsinn", andere hielten sie für ein "häßliches, heulendes Untier".

Fast dreißig Jahre lang, von 1711 bis 1738, versuchte Händel, die Engländer vom Gegenteil zu überzeugen. Mehr als vierzig Opern hat er in jener Zeit geschrieben; gleichzeitig aber hat er (unfreiwillig) für eine Chronique scandaleuse der Operngeschichte gesorgt: ein Impressario, der mit der Kasse durchbrennt, eine Operngesellschaft, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, bis das Unternehmen Konkurs anmeldet, Titelhelden, denen es vor Angst die Stimme verschlägt, und Primadonnen, die auf offener Bühne eine Prügelei anfangen, Hohn und Spott des Publikums ... - Die Konsequenz, die Händel daraus zog: Abschied von der Oper und Hinwendung zum Oratorium.

Sendemanuskript:
Musik-Nr.: 01
Komponist: Georg Friedrich Händel
Werk-Titel: "Giulio Cesare"
Auswahl: Ouvertüre <Track 1.> 2:50
Interpreten: xx
Label: Tel (LC 3706)
8.43927
<Track 1.> Gesamt-Zeit: 2:50

Die italienische Oper und England - das war seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ein ganz besonderes Kapitel von Haßliebe. Immer wieder hatten Komponisten versucht, die Oper in England zu etablieren, und immer wieder gossen die englischen Musik-Kritiker Hohn und Spott über dieses Genre, das in ihren Augen ein lächerliches Zwitterdasein führte: irgendwo angesiedelt zwischen ernsthaftem Schauspiel und unterhaltsamer Musikdarbietung, wegen ihres Aufwandes sündhaft teuer und in einer Sprache, die niemand verstand. Die einen nannten die Oper einen "geschickt vertonten Unsinn", andere hielten sie für ein "häßliches, heulendes Untier".

Als Händel im November 1710 in London eintraf, war er also nicht der erste, der London zur europäischen Opern-Metropole machen wollte. Wohl aber waren seine Bemühungen (wenn nicht unbedingt erfolgreich) so doch zumindest für die Musikgeschichte folgenreich. Drei Monate nach seiner Ankunft, im Februar 1711, kam Händels erste Produktion auf die Bühne, doch größeres Aufsehen erregte er erst 1713 mit seiner Theseus-Vertonung, der Geschichte von der Zauberin Medea, die von ihrem Geliebten Theseus verstoßen wird und Rache schwört. Das Londoner Publikum war vor allem von jener Szene angetan, wo Medea die Geister der Unterwelt ruft ...

Musik-Nr.: 02
Komponist: Georg Friedrich Händel
Werk-Titel: "Teseo"
Auswahl: 3. Akt, 4. Szene (Ausschnitt)
- "Ombre, sortite dall'eterna notte!"
- "O ciel, che mai sara!"
- "Sibillando, ululando, fulminate, la rival"
<CD 2, Track 5.6.> 6:50
Interpreten: xx
Label: Erato (LC 0200)
2292 45806-2
<CD 2, Track 5.6.> Gesamt-Zeit: 6:50

Während der antike Mythos von Theseus und Medea in einem Blutbad endet, wendet sich in Händels Oper - nach dem damals üblichen Prinzip des "lieto fine" (des glücklichen Ausgangs) - zum Schluß alles zum Guten. Der Anschlag auf Theseus wird verhindert, Medea muß fliehen, und der Schlußchor besingt die wiedergewonnene Eintracht.

Hinter der Bühne des Queen's Theatre ging es allerdings gar nicht so einträchtig zu. Nachdem die Oper mehrere Tage lang vor vollem Haus gespielt wurde, brannte der Theaterdirektor, ein gewisser Mr. Swiney, mit den gesamten Einnahmen durch und setzte sich nach Italien ab. Zwar fand sich bald schon ein neuer Theater-Unternehmer, der auch die alten Schulden übernahm, aber Händels Interesse an der Oper war für's Erste abgeklungen. Ihm ging es in den folgenden Jahren zunächst darum, neue Mäzene zu finden und sich einen Rückhalt bei der englischen Aristokratie zu verschaffen.

Sechs Jahre später war es dann soweit. 1719 gründeten sechzig Opernliebhaber, darunter der englische König, eine musikalische Aktiengesellschaft mit dem erklärten Ziel, "sich einer beständigen Versorgung mit Opern aus Händels Feder zu versichern." Als Sänger wurden die damals größten Stars unter Vertrag genommen: die Kastraten Senesino und Buselli, sowie die beiden Sopranistinnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni. Die "Königliche Oper" avancierte zu einem Wirtschaftsunternehmen, zum gewinnträchtigen Spekulationsobjekt, dessen Aktien sogar an der Börse gehandelt wurden. Die folgende Meldung in der Wirtschafts-Spalte des Londoner "Kuriers" vom 12. Februar 1724, wenige Tage vor der Premiere zum "Giulio Cesare" dürfte allerdings eher ironisch gemeint sein:

Südsee-Kompanie 174 Pfund, königliche Opernkompanie zu Beginn der Börse 83 Pfund. Während der Vormittagsprobe ging Signore Senesino eine halbe Note über seinen üblichen Umfang hinaus. Kurs der Opernkompagnie bei Börsenschluß: 107 Pfund.

Skandale und Pannen wurden jedenfalls genüßlich in den Gazetten kolportiert - wie etwa jener Zwischenfall einige Tage späteranläßlich einer Aufführung des "Giulio Cesare":

Die gestrige Aufführung des "Giulio Cesare" erlitt durch Unachtsamkeit oder boshafte Intrige eine unliebsame Unterbrechung. In dem Augenblick, als Signore Senesino ausrief: "Cäsar weiß nicht, was Angst ist!", fielen einige Holzstücke aus dem Schnürboden krachend auf die Bühne, so daß Signore Senesino wie ein Kind zu weinen anfing und lange Zeit nicht zu beruhigen war.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Georg Friedrich Händel
Werk-Titel: Giulio Cesare"
Auswahl: 2. Akt, 8. Szene (Arie)
"Al lampo dell'armi"
<Track 7.> 3:20
Interpreten: xx
Label: Hyperion (LC ____)
CDA 66483
<Track 7.> Gesamt-Zeit: 3:20

Der Kastrat Senesino (mit bürgerlichem Namen Francesco Bernardi) war unbestrittener Star des Händel'schen Opernunternehmens. Seine Gage belief sich auf 2.000 Pfund jährlich, und entsprechend eitel und arrogant war sein Betragen. An seiner Gesangskunst jedoch mochte niemand etwas aussetzen:

Er hat eine durchdringende, helle, egale und angenehm tiefe Sopranstimme, eine reine Intonation und schönen Trillo. Seine Art zu singen ist meisterhaft und sein Vortrag mustergültig.

Nur was seine schauspielerischen Fähigkeiten anbelangt, gab es gelegentlich Kritik:

In den Rezitativen und Arien steht er starr da wie eine Statue, und wenn er dann und wann eine Geste macht, so ist diese dem gewünschten Ausdruck mit Sicherheit entgegengesetzt.

Temperamentvoller waren da die Sängerinnen, die Händel engagiert hatte, allen voran Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni. Mit der Cuzzoni (so wird erzählt) geriet Händel derart in Streit wegen einer Arie, die die Cuzzoni nicht singen wollte, daß er ihr androhte, sie aus dem Fenster zu werfen. Es war die Arie, mit der die Cuzzoni ihren Ruf als lyrische Sopranistin begründete.

Musik-Nr.: 04
Komponist: Georg Friedrich Händel
Werk-Titel: Ottone
Auswahl: 1. Akt, 3. Szene (Arie)
"False immagine"
<Track 8-2.> 7:15
Interpreten: xx
Label: HMU (LC 7045)
90 7036
<Track 8-2.> Gesamt-Zeit: 7:15

Die Oper war das Show-Business des 18. Jahrhunderts, und Zwischenfälle wie Händels Drohung, seine Primadonna aus dem Fenster zu werfen, eigneten sich in jedem Falle als willkommener Werbe-Effekt. Der Höhepunkt der Londoner "Chronique scandaleuse" aber war, als Händel es in seiner Oper "Alessandro" seine beiden Primadonnen, Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni, als gleichberechtigte Gegenspielerinnen auftreten ließ - als Geliebte des großen Alexander alias Senesino ...

Musik-Nr.: 05
Komponist: Georg Friedrich Händel
Werk-Titel: Alessandro
Auswahl: 1. Akt, 9. Szene (Rez. und Duett)
- "Figlio del Rè"
- "Placa l'alma, quieta il petto!"
<Track 4.5.> 4:15
Interpreten: xx
Label: dhm (LC 8586)
CDS 7 47910 8
<Track 4.5.> Gesamt-Zeit: 4:15

Der Sängerinnen-Wettstreit im "Alessandro" endete, wie es vorherzusehen war: Angestachelt durch die sensationshungrige Opern-Meute auf der Galerie bekamen sich die Bordoni und die Cuzzoni bei einer der Vorstellungen in die Haare und prügelten sich auf offener Bühne. Wenige Tage später dann mußte "Alessandro" vom Spielplan genommen werden: Der Titelheld Senesino fühlte sich unpäßlich, und es heißt, er sei verärgert gewesen, weil man ihm angesichts der beiden Rivalinnen nicht genügend Beachtung geschenkt habe.

Eine Zeitlang bildete das King's Theatre mit seinen Affären einen wichtigen Kristallisationspunkt des Londoner Gesellschaftsleben. Aber dann war man der Skandale überdrüssig. Das unverständliche Opern-Italienisch, die Allüren der Stars samt ihren unverschämten Gagen-Forderungen und nicht zuletzt die rücksichtslose und selbstherrliche Art, wie Händel seine eigenen Interessen durchsetzte: Für die zahlenden Gesellschafter gab es Gründe genug, sich aus dem Operngeschäft zurückzuziehen.

Gelegentlich heißt es, die "Beggar's Opera" von John Gay und Christopher Pepusch habe mit ihrem englischen Text und den populären Melodien der "Royal Academy" den Todesstoß versetzt. Aber in Wahrheit verhält es sich wohl so, daß die "Bettleroper" nur in satirischer Form aufgriff, was eh' schon Tagesgespräch war: das Spekulantentum, die Korruption der Politiker, die Intrigen bei Hof, oder eben der Streit von Händels singenden "Nachtigallen", die sich in schönstem harmonischen Zwiegesang an die Gurgel gingen ...

Musik-Nr.: 06
Komponist: Christoph Pepusch
Werk-Titel: Beggar's Opera
Auswahl: 3. Akt, Nr. 49 (Duett)
"A Curse attend that Woman's Love"
<CD 2, Tr. 48.> 1:45
Interpreten: xx
Label: Koch Schwann (LC 1083)
314 056
<CD 2, Tr. 48.> Gesamt-Zeit: 1:45

Während die "Beggar's Opera" von John Gay und Christopher Pepusch im Lincoln's Inn Field Theatre für volle Kasse sorgte, spielte Händel vor zunehmend leeren Rängen - bis dann am 1. Juni 1728 die "Königliche Musikakademie" den Konkurs anmelden mußte. Aber schon ein halbes Jahr später nahm Händel das nächste Projekt in Angriff. Zusammen mit dem umtriebigen Theater-Impressario Johann Jacob Heidegger und einigen weiteren opernbegeisterten Geldgebern gründete er eine neue Gesellschaft.

Aber auch dieses Unternehmen hatte einen schweren Stand, denn Händels Geschäftsgebaren verärgerte das Publikum. War ein Stück erfolgreich, setzte er kurzerhand die Eintrittspreise herauf und erklärte die Karten der Abonnenten für ungültig. So verwundert es nicht, daß die Händel-Gegner 1733 ein Konkurrenzunternehmen gründeten, die sogenannte "Adels-Oper". Die meisten guten Sänger, die Händel engagiert hatte, wechselten das Lager - allen voran die beiden Kastraten Senesino und Farinelli.

Vier Jahre lang gab es zwei konkurrierende Opernhäuser in London: Das eine verfügte über die besseren Sänger, während Händel die bessere Musik bot. Für beide aber zeigte sich auf Dauer, daß es selbst in einer Weltstadt wie London für zwei Opernhäuser nicht genügend Publikum gab. Am 11. Juni 1737 mußte die Adelsoper nach vierjährigem Überlebenskampf wegen "Zahlungsunfähigkeit" ihre Pforten schließen. Ein gutes Jahr später, wenige Tage nach der glücklosen Premiere des "Xerxes", annoncierten dann auch Händel und sein Impresario Heidegger ihren Rückzug aus dem Geschäft:

"Da die Opern in der kommenden Spielzeit nicht wie geplant weitergeführt werden können, nachdem die Subskriptionen nicht verkauft werden konnten und wir uns auch mit den Sängern nicht einigen konnte, sehen wir uns zu der Erklärung gezwungen, daß wir das Unternehmen aufgeben. Bei dieser Gelegenheit möchten wir all jenen unseren bescheidenen Dank aussprechen, die so freundlich waren, uns in unseren Bemühen um die Fortführung der Veranstaltung zu unterstützen. Johann Jacob Heidegger und Georg Friedrich Händel.

Musik-Nr.: 07
Komponist: Georg Friedrich Händel
Werk-Titel: Serse
Auswahl: 1. Akt, 1. Szene
- "Frondi tenere"
- "Ombra mai fu"
<Track 3.> 3:35
Interpreten: xx
Label: Cap (LC 8748)
10213
<Track 3.> Gesamt-Zeit: 3:35
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