Czerny: Pianoforte-Schule ... op. 500,III

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Kap. 8 [ c ]

[c] Über besonders schwierige Compositionen.

<52> Schwierigkeiten sind nicht der Zweck der Kunst, sondern nur ein Mittel: aber ein nothwendiges Mittel.

Denn sie bringen, wohlerfunden, und gehörig vorgetragen, Wirkungen hervor, die man durch leichte, bequeme und einfache Notenzusammenstellungen auf keine Weise erreichen könnte.

Die Mühe, die man sich daher gibt, dieselben leicht und schön vorzutragen, wird demnach stets belohnt. Denn schon die Bewunderung, die man dafür vom Zuhörer einärntet, ist nicht zu verachten, und wird vollends doppelt verdient, wenn man ihm auch durch überwundene Schwierigkeiten Vergnügen macht, ja sein Gefühl rührt; - denn Eins von Beiden wenigstens ist immer möglich, wenn die Composition nicht unter die völlig Misslungenen gehört.

<53> Dass aber eine schlechte Ausführung von Schwierigkeiten, die Sache nur um so widriger macht, ist natürlich, und der minder geübte Spieler muss sich hüthen, solche Stücke vor Zuhörern vorzutragen, deren Schwierigkeiten er nicht vollkommen zu überwinden im Stande ist: ein Fehler, den so viele begehen, und dadurch sowohl ihrem Spiel, wie der Composition Unehre machen, ja die Letzte oft völlig versudeln.

Die Schwierigkeiten bestehen:

  1. In solchen, welche eine grosse, oft ungeheure Geläufigkeit erfordern, obwohl sie, langsamer gespielt, nicht so schwer scheinen.
  2. In Sprüngen, Spannungen, u. d. g. deren richtiges Treffen vom Zufall abzuhängen scheint.
  3. In verwickelten, mehrstimmigen Passagen, Z.B: Terzenläufen und Trillern, chromatischen Gängen, fugirten Sätzen, u.s.w.
  4. In lang anhaltenden gestossenen Sätzen, Z.B: Octaven, etc: welche eine grosse Anwendung der physischen Kräfte in Anspruch nehmen, so wie in Tonstücken, welche durch ihre Länge grosse Ermüdung verursachen, und den Spieler bei unvorsichtiger Anstrengung erschöpfen können.

Bei allen Diesen gilt folgende Hauptregel:

Jede Schwierigkeit klingt erst dann schön, wenn sie für den Spieler keine Schwierigkeit mehr ist.

So lange solche Sätze mühsam, unruhig, mit saurer Qual vorgetragen werden, können sie kein Vergnügen gewähren, und der Spieler erweckt eher Mitleiden als Bewunderung.

Das wichtigste Mittel, um auch solche Passagen angenehm zu machen, die hart, überladen, misstönend scheinen, ist: Die Schönheit des Tons.

Derjenige, der die Kunst besitzt, aus dem Fortepiano stets einen schönen, wohlklingenden, niemals grellen Ton hervorzubringen, der selbst das Forte und Fortissimo niemals bis zu einem schreienden Übermaass steigert, der ferner den höchsten Grad der Geläufigkeit mit vollkommener Deutlichkeit und Klarheit des Vortrags verbindet; - wird selbst die herbsten Zusammenstellungen der Töne so vortragen, dass sie sogar dem Nichtkenner schön vorkommen, und ihm Vergnügen machen werden.

Es ist damit so, wie im Sprechen, wo eine rauhe polternde Stimme auch den besonnensten Ausdruck beleidigend machen kann, während dagegen eine bescheidene, ruhig sanfte Aussprache selbst jene Worte mildern kann, die sonst verletzend sein würden.

Selbst bei den grössten Sprüngen ist dem Spieler die möglichste Ruhe des Körpers anzuempfehlen. Aber dabei ist auch die innere, unsichtbare Anstrengung des Gemüths und der Nerven wohl zu vermeiden. Denn wer sich einen leichten ruhigen Schritt angewöhnt, kann leicht Meilenweit ohne Beschwerden gehn, während derjenige, der schwerfälligen Ganges ist, oder eine innere Bewegung durch ruhig scheinenden Gang verbergen will, schon in der ersten Viertelstunde sich erschöpft fühlt.

Das Athemhohlen muss stets frei bleiben, weil sonst das Üben grosser Schwierigkeiten selbst der Gesundheit nachtheilig werden könnte.

Nach einem halbstündigen Üben irgend einer schweren Passage muss man einige Minuten ausruhen, im Zimmer herumgehen, etwas lesen, u. d. gl. ehe man wieder weiter studiert.

Bei Passagen wie die Folgende:

[Notenbeispiel 53]

könnte der Spieler sich entweder eine grosse körperliche Bewegung angewöhnen oder bei dem Bestreben, dieselbe zu vermeiden, könnte eine innerliche Anstrengung, z.B: das Verhalten des Athems leicht noch mehr Kraft kosten, oder wohl gar schaden.

Man ziehe demnach dabei seine Empfindung zu Rathe, übertreibe weder das Eine noch das Andere, und man wird endlich jede Schwierigkeit auf eine anständige und unschädliche Art überwinden.

<54> Denn das ist nicht zu läugnen, dass solche Schwierigkeiten, schön vorgetragen, auch viele Wirkung machen, die der gute Tonsetzer durch eine zweckmässige Anwendung bis zum Grade der ästhetischen Schönheit steigern kann. Nur eine üble Anwendung, oder ein unnatürlicher Vortrag, kann dieselben zu blossen Seiltänzereien herabwürdigen.

Das Staccato ist in der Regel weit schwerer und anstrengender, als selbst das geläufigste Legato und desshalb sind die, zu Anfang dieses Theils gegeben Regeln über alle Arten des Staccato wohl zu beachten.

Jede schwierige Stelle ist von dem Spieler so oft einzeln zu üben, bis sie völlig sicher geht; sodann aber ist es eben so nöthig, sie im Zusammenhang mit dem, was vorangeht und was nachfolgt, zu exerzieren, weil dieses oft einen grossen Unterschied macht. Hierauf ist erst der ganze Satz so oft zu wiederholen, als nöthig ist, um dem Tonstück den gehörigen Fluss zu geben.

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