Czerny: Pianoforte-Schule ... op. 500,III

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Kap. 8 [ d / 1. Teil]

[d] Über den Vortrag langsamer Tonstücke.

<54> Der Vortrag langsamer Tonstücke, wie z.B. das Adagio, Andante, Grave, etc:, ist in der Regel schwerer, als der Vortrag im schnellen Tempo, und zwar aus folgenden Ursachen:

Der Zweck eines jeden Tonstückes ist, Interesse, ununterbrochene Aufmerksamkeit, und Wohlgefallen bei dem Zuhörer zu erwecken, und ihn folglich nie zu langweilen oder zu ermüden.

Bei schnellem Tempo ist schon diese rasche Nacheinanderfolge der Ideen an sich oft hinreichend den Zuhörer zu fesseln, da deren Munterkeit oder Kraft, so wie auch die dabei zu entwickelnde Geläufigkeit, Bravour, etc: denselben in Spannung erhält.

Aber nicht so ist es beim Adagio.

Wenn Jemand sehr langsam spricht, so kann seine Rede bald langweilig werden, wenn sie nicht entweder durch ihren wichtigen Inhalt, oder wenigstens durch eine richtige, abgemessene, und abwechselnde Betonung bedeutend gemacht wird.

Dasselbe findet beim Vortrage des Adagio etc: Statt. Denn auch da muss der Spieler durch möglichst schönen Ton, durch richtige Accentuirung der Melodie, durch klare Vollstimmigkeit und festes Binden der Harmonie, durch Gefühl, Delikatesse, durch den Ausdruck zarter oder erhabener Empfindungen den Hörer zu fesseln wissen, und, (je nach dem Gehalt der Composition) entweder auf sein Herz oder auf seinen Verstand wirken.

Viele Spieler meinen, der gefühlvolle Ausdruck bestehe nur in einer grellen Absonderung des Forte und Piano, und glauben alles geleistet zu haben, wenn sie gewisse Töne scharf und schreiend, dagegen andere wieder matt und dumpf anschlagen. Aber für ein feines, gebildetes Gehör ist dieser Vortrag unerträglich und fast widriger, als ein monotones, völlig ausdrucksloses, aber doch wenigstens sanftes Spiel.

Die feineren Nüancen, das Tragen des Tons, die leichteren Schattirungen vom Pianissimo durch alle Grade des crescendo bis zum Forte, - dieses ist es, wodurch der Spieler langsame Tonstücke anziehend zu machen trachten muss.

Es gibt mehrere Arten von Adagio, welche auch einen verschiedenen Vortrag erfordern, nämlich:

  1. Jene von schwerem, tiefsinnigen oder erhabenem Charakter und von verwickelten Harmonien, wie z.B. jene von Beethoven. Deren Vortrag muss gewichtig, ruhig fortschreitend sein, und durch ein aufmerksames Herausheben der Melodie verständlich gemacht werden. Z.B:

[Notenbeispiel 54]

Hier ist vor Allem in beiden Händen ein strenges Legato nach dem Notenwerthe zu beobachten. Alle Stimmen eines jeden Accords sind gewichtig und fest anzuschlagen, und die oberste Stimme der rechten Hand ein wenig mehr herauszuheben, weil sie die Melodie führt. Jedes Steigen und Fallen dieser Gesangstimme ist durch ein kleines crescendo und dimin: auszudrücken. So z.B: ist der 2te Accord im 1ten Takte mit etwas stärkerem Nachdruck auszuführen als die beiden Andern. Im 2ten Takte erhält der 1ste Accord diesen Nachdruck, weil die andern abwärts gehen. Der mittlere Accord dieses Taktes (in B mol) ist mehr piano anzuschlagen, und so lange zu halten, bis die Pause eintritt.

<55> Der letzte Accord dieses Takts ist schon zu dem nachfolgenden crescendo zu rechnen, welches doch im 3ten Takte nicht allzu stark sein darf, da es im 4ten Takt, (anstatt mit einem sf) wieder mit einem piano endigt. Das Arpeggio des 1ten Accords im 4ten Takt ist nicht allzu langsam zu nehmen, weil die auflösende Harmonie dieses Accords bald in das Gehör fallen muss. Der nachfolgende Accord ist stark anzuschlagen, und obwohl die nachfolgenden Noten wieder etwas diminuendo zu spielen sind, so wächst im 5ten Takte das cresc:, (obwohl hier der Gesang zuletzt etwas abwärts steigt) doch so bedeutend, dass der 6te Takt recht kräftig hervortritt, wogegen der 7te beruhigend, und immer sanfter vorgetragen werden muss.

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