Koch: Musikalisches Lexikon

Ausarbeitung.

<181> Man verstehet unter diesem Ausdrucke die letzte Bearbeitung eines Kunstwerkes, nachdem die Anordnung und Darstellung aller Theile desselben vollendet ist, oder mit andern Worten, die Hinzufügung der zufälligen Vollkommenheiten desselben. Bey der Anlage eines Tonstückes werden die wesentlichen Theile desselben erfunden und festgesetzt. [FN: Siehe Anlage] In der Ausführung werden diese Theile so bearbeitet, daß die Empfindung, welche ausgedrückt werden soll, verschiedene Modifikationen, und den Stoff zu ihrer Fortdauer, das Tonstück selbst aber seine Form und seinen Umfang erhält. [FN: Siehe Ausführung] Die Ausarbeitung beschäftiget sich endlich mit der gänzlichen Vollendung des Werks. Ihr Gegenstand ist, <182> dem Kunstprodukte alle diejenigen zufälligen Vollkommenheiten und Schönheiten zu geben, die es, ohne seine wesentlichen Vollkommenheiten zu verdunkeln, erhalten kann. Hier wird die Wirkung erwogen, welche durch die Neben- und Füllstimmen erhalten werden kann, die bey der Ausarbeitung ihr Daseyn erhalten. Hier wird abgerundet, was noch zu eckicht ist, und die Auswüchse werden weggeschnitten, die in dem Feuer der Arbeit bey der Ausführung entsprossen sind. Der grammatische Theil des Ganzen wird berichtiget; kurz das Tonstück wird bis auf seine kleinsten Theile ausgefeilt, und die hohen Lichter des Tongemäldes erhalten die letzten Drucker.

<183> "Dieser Theil der Kunst," sagt ein anerkannter Kenner, [FN: Sulzer, Allg. Theorie der schönen Künste] "hat aber auch seine Abwege. Man kann ein Messer, um ihm die höchste Schärfe zu geben, so lange schleifen, bis aller Stahl weggeschliffen ist; und so kann durch eine übertriebene Ausarbeitung ein Werk viel von den höhern Kräften, die es gehabt hat, verlieren. Wer glaubt, daß er jede Kleinigkeit, die er fühlt, ausdrücken wolle, der irret sich, und wird durch die dahin abzielende Ausarbeitung sein Werk verderben. Es kömmt darauf an, daß auch von den kleinern Schönheiten nur die wesentlichsten glücklich in ein Werk gebracht werden: diese machen, daß man sich die andern hinzudenkt."

Eine starke Ausarbeitung erlauben

  1. nur diejenigen Tonstücke, bey welchen es mehr auf äußern Glanz der Kunst und auf mechanische Geschicklichkeit, als auf den Ausdruck bestimmter Empfindungen abgesehen ist. Daher bestimmen auch die Theoristen den Unterscheidungscharakter des Kammerstyls durch die fleißigere Ausarbeitung der für die Kammer bestimmten Tonstücke.
  2. Erlauben eine starke Ausarbeitung diejenigen Tonstücke, deren Charakter Mäßigkeit, Anmuth und Ruhe ist, das ist, diejenigen, die eine gewisse Sättigung einer angenehmen Empfindung zum Gegenstande haben. Das Große hingegen und das Erhabene, das wild dahin Strömende, welches alles mit sich fortreißt, das tiefe Gefühl der Wehmuth und des Schmerzes, u.s.w. verliert durch Anhäufung zufälliger Schönheiten einen großen Theil seiner Kraft.

Ueberhaupt muß sich der Tonsetzer bey solchen Stellen, wo die Empfindungen auf einen hohen Grad ihrer Aeußerung steigen, für starker Ausarbeitung, und Anhäufung zufälliger Schönheiten, und besonders für harmonischen Künsteleven hüten, und Enthaltsamkeit genug besitzen, kleinere Schönheiten dem höhern Zwecke der Kunst aufzuopfern.

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