Koch: Musikalisches Lexikon

Besetzung.

<237> Mit diesem Worte bezeichnet man theils die Veranstaltung, die bey der Ausführung vollstimmiger Tonstücke in Ansehung der Anzahl der Tonkünstler überhaupt getroffen wird, theils die Einrichtung, wie viel Personen bey jeder der vier Hauptstimmen insbesondere angestellet werden. Beyde Gegenstände sind von Wichtigkeit, weil sie auf die Wirkung der Kunstprodukte mächtigen Einfluß haben.

Die Anzahl der zu einem Musikchore bestimmten Personen muß nothwendig mit der Größe des Ortes, wo die Kunst ausgeübt wird, <238> im Verhältnisse stehen. Ein schwach besetztes Orchester in einem großen Opernhause, oder in einer großen Kirche, kann nicht die erwünschte Wirkung gewähren, kann nicht Tonmasse genug hervorbringen, die Größe des Gebäudes dergestalt auszufüllen, daß die einzelnen Parthien des Ganzen sich kraftvoll genug herausheben. Der Ton ist zu wenig einschneidend, und die Wirkung des Ganzen bleibt bey dem besten Vortrage zu matt. Eine solche zu schwache Besetzung macht auf das Ohr eine ähnliche Wirkung, wie eine zu schwache Erleuchtung eines großen prachtvollen Zimmers auf das Auge. Alle Gegenstände in demselben erscheinen aus Mangel an genugsam zuströmendem Lichte in unbestimmten Umrissen. -

Noch weit nachtheiliger für die gute Wirkung der Musik ist die zu starke Besetzung in einem Zimmer. Hier wird der Ueberfluß der Tonmasse dem Ohre sogar unangenehm und beschwerlich, und die Wirkung gleicht dem zu viel ins Auge fallenden Lichte.

Der wichtigste Gegenstand in Betreff der Besetzung ist jedoch die verhältnißmäßige Anzahl der Ausführer, die bey jeder der vier Hauptstimmen angestellet werden. Keine dieser Stimmen darf die andere verdunkeln oder übertönen; am allerwenigsten aber dürfen die Mittelstimmen vor den äußersten zu sehr hervorstechen, sonst ist der größte Nachtheil der Wirkung des Ganzen unvermeidliche Folge. Noch nachtheiliger ist es, wenn bey Tonstücken, zu welchen viele Blasinstrumente gesetzt sind, es an der verhältnißmäßigen Besetzung der Hauptstimmen mangelt. (Siehe Begleitung.)

Man nimmt gemeiniglich an, daß z.E. mit acht Violinen, zwey Violen, zwey Violoncelle und zwey Contraviolone, oder mit 10 Violinen, drey Violen, drey Violoncelle und zwey Contraviolone verbunden werden müssen, wenn die Stimmen verhältnißmäßig besetzt seyn sollen. So wenig sich im Allgemeinen wider diese Angabe etwas einwenden läßt, so sehr muß bey der Anwendung derselben auf Nebenumstände Rücksicht genommen werden. <239> Es ist bekannt, daß, auch unter Tonkünstlern von ziemlich gleichen Kunstfähigkeiten, immer der eine einen stärkern und markichtern Ton auf seinem Instrumente hervorbringt, als der andere; und mir dünkt, diese Verschiedenheit der Stärke des Tones sey bey den Bogeninstrumenten weit merklicher, als bey Blasinstrumentisten.1 Nun lehrt die Erfahrung, daß keine Art der Instrumente eine so merkliche Verschiedenheit der Stärke des Tones äußert, als die Geigeninstrumente. Trift sich daher der Fall, daß z.B. bey eine Stimme drey oder vier Bogeninstrumentisten zu stehen kommen, die schon von selbst einen starken Ton, und vielleicht noch überdies zufällig Instrumente von starkem Tone, haben, so können unter diesen Umständen z.B. drey bis vier Violinisten bey einer Stimme gar leicht in Ansehung der Stärke das nemliche bewirken, was unter andern Umständen kaum sechs andere (im Vortrage selbst nicht minder fähige Violinspieler) thun können. Daher muß der Anführer eines Orchesters bey der Besetzung der Hauptstimmen nothwendig auf diesen Umstand Rücksicht nehmen, sonst wird bey der besten Berechnung der Anzahl der Personen dennoch eine Stimme ungleich stärker, oder schwächer, als die andere besetzt.

Ein sehr auffallender Fehler wider die gute Besetzung der Stimmen ist es, wenn die in einem Orchester vorhandenen vorzüglichsten Violinisten herausgehoben, und alle zur ersten Violine gestellet werden. Diese Stimme gewinnt zwar dadurch augenscheinlich; aber der Contrast, den alsdenn die zweyte Violine und Viole im Vortrage gegen die erste Violine macht, ist sodann auch um so merklicher und unangenehmer. Nicht zu gedenken, daß den minder fähigen Ausführern der zweyten Violine und Viole dadurch ein Theil der Gelegenheit, sich zu vervollkommen, entzogen wird.

Es scheint sogar nöthig zu seyn, daß man bey der Besetzung der <240> Stimmen darauf Rücksicht nehme, daß nicht bey ein Stimme lauter junge, und bey eine andere lauter älternde Ausführer gestellet werden. Bey jenen lodert das Feuer der Jugend, besonders in Passagen von geschwinden Noten, sehr oft zu stark auf; bey diesen hingegen beginnt es nicht selten zu verrauchen. Es ist daher nothwendig am vortheilhaftesten, wenn die ältern Tonkünstler durch die jüngern angefeuert werden, zugleich aber auch das überflüßige Feuer der letzten durch die Gesetztheit der ersten gemildert wird. Von der verhältnißmäßigen Besetzung der Stimmen handelt ausführlicher das XVII. Hauptstück des Versuches einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, von Quanz. Berlin, 1752.

Fußnoten:

Fußnote 1 (Sp. 239/240):

Im einzelnen möchten die Ausüber des Hornes die merkliche Ausnahme dieser Behauptung machen.

zurück
nach oben