Koch: Musikalisches Lexikon

Deklamation,

<412> ist der durch Redetöne lebhaft dargestellte Ausdruck bestimmter Ideen und Empfindungen. Der Mensch, im Besitze einer ausgebildeten Sprache, ist im Stande, seine Gedanken in eben dem Grade der Deutlichkeit, in welchem sie in seiner Vorstellung enthalten sind, und seine Empfindungen in eben dem Grade der Lebhaftigkeit, in welchem er sie fühlt, auf das bestimmteste durch Redetöne auszudrücken. Durch diesen Ausdruck bekommen eigentlich die Worte erst ihre wahre Bedeutung und ihr völliges Gewicht; ohne ihn sind sie todte Buchstaben, die erst belebt werden müssen. Ihnen dieses Leben zu geben, ist das Amt der Deklamation.

Obgleich bey dem Gesange die Töne in ganz andern und bestimmtern Verhältnissen ausgeübt werden, als bey der Sprache, so ist es dennoch nothwendig, daß auch bey dem <413> Gesange, wenn der Ausdruck der Ideen und Empfindungen lebhaft und treffend dargestellet werden soll, die Worte in Ansehung ihrer grammatischen und oratorischen Accente, in Ansehung des Verweilens oder Dahinströmens derselben, oder auch in Ansehung des Steigens und Fallens der Töne, auf eine der Sprache ähnliche Art behandelt werden müssen. Daher ist Kenntniß der Deklamation für denjenigen Tonsetzer unumgänglich nöthig, der sich mit Singekomposition beschäftigt. Anleitung zu dieser Kenntniß findet man in Rellstabs Versuch über die Vereinigung der musikalischen und oratorischen Deklamation, Berlin 1786; in der Abhandlung über die Frage: Soll die Rede immer ein dunkler Gesang bleiben etc.? von Schocher, Leipzig 1791; und in dem Werkchen: Anleitung zur Bildung des mündlichen Vortrages u.s.w. Leipzig 1793.

Man ist fast durchgehends der Meinung, daß die Alten die Kunst besessen haben, die Deklamation in einer Art von Tonschrift vorzustellen.

Löbel drückt sich über diesen Gegenstand in dem kurzgefaßten Handwörterbuche über die schönen Künste im Artikel Deklamation auf folgende Art aus:

"Wenn man sich auf die notirte Deklamation der Alten beruft, um zu beweisen, daß bey den Alten eine solche Tonleiter im Gebrauch gewesen sey, so hat man ohne Zweifel zu voreilig über eine Sache geurtheilt, welche, bey den wenigen und der Natur der Sache nach unvollständigen Nachrichten, die wir hierüber besitzen, vielleicht nie völlig ausgemacht werden wird. Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß diese notirte Deklamation nichts anders, als eine Art von musikalischem Recitative gewesen sey.1 Auch scheint, nach einigen Stellen alter Theoretiker zu urtheilen, jene vollständige Tonleiter für die Sprechstimme von den Alten für eine unmögliche Sache gehalten worden zu seyn; so wenig auch, <414> den Nachrichten des Cicero und Quintilian zu Folge, geleugnet werden kann, daß einzelne große Redner über gewisse Grundtöne nachgedacht, und sich in dem Gebrauche derselben Gewißheit und Festigkeit zu erwerben gesucht haben."

Fußnoten:

Fußnote 1 (Sp. 413/414):

Mehr konnte sie ja, wenn sie nicht in förmlichen Gesang übergehen sollte, ohnmöglich seyn; und war sie dieses, so hat man keinesweges zu voreilig darüber geurtheilt.

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