Koch: Musikalisches Lexikon

Fantasie.

<554> So nennet man das durch Töne ausgedrückte und gleichsam hingeworfene Spiel der sich ganz überlassenen Einbildungs- und Erfindungskraft des Tonkünstlers, oder ein solches Tonstück aus dem Stegreife, bey welchem sich der Spieler weder an Form noch Haupttonart, weder an Beybehaltung eines sich gleichen Zeitmaaßes, noch an Festhaltung eines bestimmten <555> Charakters, bindet, sondern seine Ideenfolge, bald in genau zusammenhängenden, bald in locker an einander gereiheten melodischen Sätzen, bald auch nur in nach einander folgenden und auf mancherley Art zergliederten Akkorden, darstellet.

Man giebt aber auch den Namen Fantasie wirklich aufgesetzten Tonstücken, in welchen sich der Komponist weder an eine bestimmte Form, noch an eine ganz genau zusammenhängende Ordnung der Gedankenfolge u.d.gl. bindet, und die daher, weil das durch Genie hervorgebrachte Ideal, durch die weitere Bearbeitung zu einem strenger geordneten Ganzen, nicht das Geringste von seiner ersten Lebhaftigkeit verliert, sehr oft weit hervorstechendere und treffendere Züge enthalten, als ein nach Formen und andern nothwendigen Eigenschaften eines vollendeten Ganzen gearbeitetes Tonstück. Es verhält sich dabey wie mit den Zeichnungen in der Malerey, wo ebenfalls durch die Ausführung und vollendete Darstellung des Gemäldes nicht selten manche feinere Züge des in der Zeichnung noch vorhandenen Ideals verloren gehen.

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