Koch: Musikalisches Lexikon

Geistreich.

<650> Wenn man einem Produkte der Tonkunst den Charakter des Geistreichen zueignet,1 so verstehet man darunter sowohl einen lebhaften Grad des Treffenden in allen einzelnen Theilen des Tonstückes, welches eine bestimmte <651> Empfindung ausdrücken soll, als auch eine gewisse Regsamkeit in der Darstellung und Folge der Modifikationen der dabey zum Grunde liegenden Empfindung. In einem geistreichen Tonstücke sind die einzelnen Theile desselben in einem gewissen, jedoch dem Inhalte des Ganzen nicht widersprechenden Grade von Lebhaftigkeit dargestellt, so daß das Ganze unser Empfindungsvermögen in ein kräftiges und viel umfassendes Spiel setzt, und in demselben gleichsam alle an den äußersten Grenzen der vorhandenen Empfindung liegenden Modifikationen, in einen engen Zirkel zusammengerückt, erscheinen. Reichthum an treffenden Gedanken, wodurch das Ganze in allen seinen Theilen anziehend wird, Fülle dieser Gedanken, und Leichtigkeit in ihrer Verbindung, scheinen die Erfordernisse zu seyn, wodurch der Tonsetzer seinen Werken den Charakter des Geistreichen einprägt.

Fußnoten:

Fußnote 1 (Sp. 649/650):

Weil es unter den Aesthetikern ausgemacht zu seyn scheint, das dasjenige, was man in den Werken der schönen Künste geistreich nennet, die Absicht habe, mehr ein Spiel der Einbildungskraft, als des Empfindungsvermögens zu bewirken, so würde sich allerdings die Frage aufwerfen lassen: In wie weit das Geistreiche einen Charakter der Tonstücke ausmachen, oder in wie ferne sowohl die reine, als die angewandte Tonkunst diesen Charakter behaupten könne?
Weil diese Fragen nichts weniger, als entschieden sind, und man dennoch sehr oft von dem Geistreichen in den Tonstücken spricht, so habe ich die Erklärung desselben mehr auf das Spiel der Empfindungen, als eigentlichen Gegenstand der Kunst, als auf das Spiel der Einbildungskraft, angewandt.

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