Koch: Musikalisches Lexikon

Gemein,

<652> nennet man dasjenige, was sich von andern Dingen seiner Art durch keinen merklichen Grad der Schönheit oder Vollkommenheit auszeichnet. In Rücksicht auf schöne Kunst ist also dasjenige gemein, was keinen ästhetischen Werth hat. Schon hieraus folgt, daß der Tonsetzer bey der Bearbeitung der Kunstprodukte das Gemeine zu vermeiden suchen müsse.

Seitdem sich aber eine eitle und kokette Dirne, Mode genannt, die alles neben sich verachtet, was auf Schönheit und Vollkommenheit Anspruch macht, sobald es nicht ihren Launen fröhnet, seitdem diese Dirne den Musen nicht allein mit der feinsten List das Scepter entwunden, sondern auch ihre Herrschaft so zu vergrößern gewußt hat, daß selbst Männer sich von ihr haben <653> überlisten lassen, ihr zu huldigen, und sie für die einzige in der Kunst anzubetende Gottheit anzupreisen, seitdem wird unter ihrer Regierung vieles in die Klasse des Gemeinen verdrängt, was sonst, nach allen durch Jahrtausende von allen kultivirten Völkern anerkannten Schönheitsgesetzen, auf Schönheit und Vollkommenheit Anspruch machte. Diese Tyrannin tritt alles in Staub, was sich erdreustet sich schön zu zeigen, sobald es sich nicht nach ihren ephemerischen Launen richtet. Jeden ältern Stoff, jede ältere Form, die nicht ihre Liberey trägt, überliefert sie dem Pöbel ihres Reichs zum Spotte. Sie befiehlt ihren Unterthanen für schön zu empfinden, was oft, der Natur der Sache nach, nicht schön seyn kann. Heute verlangt sie in der Kunst Ueberladung der Begleitung und der Blasinstrumente, ja so gar, daß man unter Trompeten- und Paukenschalle traurig seyn und weinen müsse; morgen wird ihre Laune die nackteste Begleitung des Gesanges für schöner finden, und man wird unter bloßer Begleitung gedämpfter Geigen tanzen. - Kurz, die Mode giebt oft dem wahren Schönen und Vollkommenen, sobald es nicht nach ihrer Laune eingekleidet ist, den falschen Anstrich des Gemeinen, oder dessen, was sich durch keine ästhetische Vollkommenheit auszeichnet. - Dadurch ist in der Musik der Nachtheil entstanden, daß man bloß das Neue schön findet,1 und daß alle gute Kunstprodukte, die eine oder mehrere Abänderungen der Mode überlebt haben, der Vergessenheit entgegen modern, oder nur noch von den wenigen privatim genossen werden können die der Mode nicht bis zur Thorheit fröhnen.

Zu was nützen uns demnach, wenn die Mode sich des Richteramtes über Schönheiten der Kunstwerke bemeistert, alle ältere gute Kunstprodukte? - Und scheint es unter diesen Umständen nicht Thorheit zu seyn, wenn Männer von vorzüglichem Genie ihres Geistes <654> Kräfte verschwenden, um der Welt vorzügliche Kunstwerke zu liefern, da sie doch aus Erfahrung einsehen können, daß man sie über kurz oder lang für ihre Anstrengung verlachen werde? Wem dieser Ausdruck zu hart scheinet, der gehe anjetzt hin an die mehresten Oerter unseres Vaterlandes, und lasse sich z.B. öffentlich mit einer Sonate oder mit einem Concerte von C.Ph.E. Bach hören, ohne zu befürchten, daß er, wo nicht ausgepfiffen, doch wenigstens ausgelacht werde. - -

Genie der Zeit ist gemeiniglich das Stoßgebetlein, womit man die von der Mode veranlaßten Thorheiten zu bemänteln sucht. Allein wenn das Genie und das Kostume der Zeit so viel Einfluß auf Kunstschönheiten hat, daß sie durch einige Jahrzehnte eine so starke Veränderung leiden, wie ist es möglich, daß man nach mehrern Jahrtausenden die Werke eines Homers, oder die alten Werke der bildenden Künste anjetzt noch schön finden kann, die in Ansehung des Genies und Kostumes der Zeit mit den unsrigen so auffallend contrastiren? -

Fußnoten:

Fußnote 1 (Sp. 653/654):

Es würde hier zu weitläuftig seyn, die übeln Folgen anzuzeigen, die diese Sucht nach Neuheit nothwendig veranlassen muß, und die theils schon am Tage liegen.

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