Koch: Musikalisches Lexikon

Genie.

<660> Dem Sprachgebrauche zu Folge verbindet man mit diesem Worte zwey einander sehr nahe verwandte Begriffe, die nur durch Grade verschieden sind, und die beyde den Besitz solcher Naturanlagen bezeichnen, wodurch der Künstler fähig wird, sich als Künstler in einem gewissen Grade der Vollkommenheit zu zeigen. Betritt der Künstler in Beziehung auf seine Bildung den gewöhnlichen Weg, und wird er dabey durch den Besitz der dazu nöthigen Naturgaben in den Stand gesetzt, geschwinde Fortschritte zu machen, und einen gewissen Grad der Vollkommenheit zu erreichen, so sagt man, er habe Genie. Erstreckt sich aber der Umfang und die Beschaffenheit seiner natürlichen Anlagen so weit, daß er auf dem möglichst kürzesten Wege und durch die einfachsten Mittel, gleichsam ohne Studium und Regel, einen solchen Grad der Vollkommenheit erlangt, dann sagt man, er sey ein Genie. Genie seyn bezeichnet also den höchsten Grad, in welchem der Künstler Genie besitzen kann.

In Ansehung der nähern Bestimmung der Bestandtheile des Genies scheinen die Aesthetiker noch nicht völlig einerley Meinung zu seyn: Leichtigkeit und Originalität des Erfindungs- und Darstellungsvermögens <661> des Schönen scheinen sich jedoch als unverkennbare Züge des Genies zu behaupten. Allein Erfindungsvermögen und Originalität können nur Wirkung des Genies eines Tonsetzers seyn; das Genie des Ausführers hingegen muß seine Wirkung bloß durch leichte Faßlichkeit des Schönen in den vorzutragenden Tonstücken, und in der richtigen Darstellungskraft desselben, äußern.

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