Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

[Seite 4 von 30]

zurück | weiter

Endlich kommt die Lehre vom Vortrage. Die letztere hängt wesentlich von der ästhetischen anschauung und von der Kenntnißnahme einer bedeutenden Literatur ab, beides Vortheile, deren die damalige Zeit nicht genügend theilhaftig sein konnte. Deßhalb ist auch in diesem Theile das Werk nicht tief und umfassend genug, wenngleich die Richtigkeit des auf das Allgemeine sich Beziehenden hervorgehoben werden muß.

[Textzusatz der 8. Auflage]

So sagt Bach z.B., der gute Vortrag besteht darin, musikalische Gedanken nach ihrem wahren Inhalte dem Gehör wahrnehmbar zu machen. Er führt an, die Musik enthielte eine Menge Affekte <52> und Empfindungen, der Spieler müsse sie alle in sich selbst tragen, müsse mit gerührt sein, und demgemäß seinen Vortrag einrichten. Dies trifft offenbar die Sache nur von ihrer allgemeinster Seite, nämlich die materiellen Vorbedingungen, die unmittelbare nähere Erfassung bleibt aber aus. Es wird nicht tief genug in die hier sich ergebenden Unterschiede der Idee eingegangen, auch werden die Mittel des Vortrags nur von ihrer äußerlichen Seite namhaft gemacht, nämlich als: Stärke und Schwäche der Töne, ihr Accent, Schnellen, Schwellen, Ziehen, Stoßen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. [Textzusatz der 8. Auflage] Diese auf Aeußerlichkeiten im Anschlag gehenden Unterschiede mußten näher ausgeführt und ihr Zusammenhang mit inhaltlichen Elementen nachgewiesen werden. Im ganzen kommt die Hauptsache auf die allgemeine Phrase hinaus, es müsse alles recht rund und geschmackvoll klingen, man müsse gute Musik hören - eine Regel, die in Ermangelung genauerer Angabe von den meisten nachbachischen Autoren wiederholt wird.

Gehören nun solche Aussprüche, sowie der Mangel ordnender Uebersicht in der Aufstellung von allerhand Regeln (z.B. § 16, 17, 18) zu den Unvollkommenheiten dieses Werkes, so erhebt sich doch andererseits die Fülle seines Materials überhaupt, die energische Betonung der Affektenlehre, sowie die Grundanschauung, der Spieler müsse auch theoretisch gebildet, Improvisator und Generalbaßspieler sein, weit über das historische Interesse, und müßte ihm in diesem Punkte wenigstens einen größeren Einfluß auf unsere Zeit von Rechtswegen sichern, als es in der Wirklichkeit der Fall zu sein scheint.

zurück | weiter
nach oben