Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

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In den nächstfolgenden Kapiteln folgt nun die dem älteren Klavierspiel so wichtige Lehre von den Verzierungen und Manieren, und da dieselben in keiner der späteren Schulen so ausführlich wieder behandelt werden, so folgt hier ein kurzer Ueberblick.

Das fünfte Kapitel umfaßt die Vor- und Nachschläge. Jeder Ton, so heißt es, welcher zur Verzierung der Melodie eine Zeit lang an der Stelle der unmittelbar darauf folgenden Note angebracht ist, heißt Vorschlag. Seine Geltung wird von dem Haupttone abgezogen. Man bedient sich dieser Verzierungen, um dadurch mehr Zusammenhang, Reiz, Lebhaftigkeit in den Gesang zu bringen und die Harmonie durch eingemischte Dissonanzen mannigfacher zu gestalten.

Die langen Vorschläge. Hier bekommt der Vorschlag den halben Werth der Hauptnote, wenn diese in zwei gleiche Theile getheilt werden kann, und muß auch demgemäß sein Werth so bezeichnet werden, obwohl manche Komponisten dies nicht thun. Quantz schreibt z.B. immer nur ein Achtel. - Bei einer punktirten dreitheiligen Note erhält der Vorschlag zwei Drittheile bei langsamen affektvollen Stellen wird der Punkt noch um die Hälfte verlängert, z.B. <58>

[Notenbeispiel in Arbeit]

(In sämmtlichen Beispielen folgt die Art der Ausführung unmittelbar hinterher.) Der Vorschlag bekommt die volle Geltung der Hauptnote, wenn an diese eine gleich hohe gebunden ist. Soll er mehr als die Hälfte der letzteren bekommen, so wird er punktirt. Hinsichtlich des Vortrags ist zu bemerken, daß der Vorschlag stärker als die Hauptnote gespielt werden muß. Die letztere wird schwach abgezogen. Türk führt dabei an, daß Ph.E. Bach, Marpurg und Agricola gerade das Gegentheil verlangen, Leopold Mozart aber seiner Ansicht beipflichte.

Die kurzen Vorschläge. Die Bezeichnung derselben durch einen kleinen Strich mitten durch die Fahne der Note erwähnt der Verfasser erst in der zweiten Ausgabe als eine neu auftauchende Schreibweise. In der ersten Ausgabe ist ihm diese noch unbekannt. Das hier sonst Mitgetheilte darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, ebenso das über die Nachschläge, die umgekehrt in die Zeit der vorhergehenden Note fallen. -

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