Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

[Seite 8 von 30]

zurück | weiter

Wichtiger ist das sechste Kapitel von den wesentlichen Manieren. Diese sollen den Tönen mehr Nachdruck geben, die Melodie verschönern, den Ausdruck der Leidenschaften und Empfindungen verstärken, außer der nöthigen Mannigfaltigkeit Licht und Schatten in ein Tonstück bringen. Es giebt wesentliche und zufällige Manieren; diese werden theils vom Komponisten vorgeschrieben, theils vom Spieler erfunden, jene nur vom Komponisten angegeben. In der Wahl der Manieren hüte man sich ja vor Ueberhäufung, und wenn man sie anwendet, geschehe dies dem Charakter des Tonstückes gemäß. So dürfen z.B. in einem Largo mesto keine Triller, Mordenten, Schneller vorkommen, sondern lieber punktirte Anschläge, lange Schleifer, Vorschläge. Das Tempo der Manieren richtet sich <59> nach dem des Tonstückes. Man wechsele, um Einförmigkeit zu vermeiden, mit den Manieren ab. Bei längeren Noten stehen zweckmäßiger größere Manieren als bei kürzeren. Alle wesentlichen Manieren, die durch kleine Noten ausgeschrieben sind, werden in der Zeit der Hauptnote eingesetzt, und ihr Werth von dieser abgezogen. Es folgen nun näher:

  1. Der Anschlag. Er entsteht, wenn vor einer Hauptnote zwei Vorschläge, einer von unten, einer von oben angebracht sind. Man unterscheidet den kurzen und den langen Anschlag. Beim kurzen ist die zweite Note die Secunde von oben, die erste verändert ihren Ort; ihr Vortrag ist nach Bach, Agricola, L. Mozart, Hiller schwächer als die Hauptnote

    [Notenbeispiel S. 59, Nr. 1

    Es giebt auch umgekehrte Anschläge

    [Notenbeispiel S. 59, Nr. 2]

    Der lange oder punktirte Anschlag hat einen unveränderlich kurzen und einen veränderlich langen Vorschlag. Er kommt im langsamen Tempo vor und wird langsam ausgeführt. Für die Hauptnote bleibt oft nur der kleinste Theil ihres Werthes übrig.

    [Notenbeispiel S. 59, Nr. 3]

    [Der Anschlag muß stets deutlich mit Noten ausgeschrieben werden.]

  2. Der Schleifer. Dieser besteht unabänderlich bloß aus stufenweis auf einander folgenden Vorschlägen

    [Notenbeispiel in Arbeit]

    <60> Es giebt kurze unpunktirte, oder lange punktirte. Die Anwendung der letzteren ist ganz ähnlich wie bei dem Anschlage. Der punktirte Ton ist stark, die andern schwach

    [Notenbeispiel S. 60, Nr. 1]

    Oft bekommt die Hanptnote nur einen sehr kleinen Theil ihren Werthes. Ist sie an eine gleich hohe gebunden, so erhält der Schleifer ihren ganzen Werth

    [Notenbeispiel S. 60, Nr. 2]

  3. Der Schneller besteht aus dem vorgeschriebenen Tone selbst und dessen Secunde und wird sehr schnell vorgetragen

    [Notenbeispiel S. 60, Nr. 3]
zurück | weiter
nach oben