Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

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Ueber diesen Standpunkt kommt auch das mit der Hummel'schen Schule rivalisirende Schulwerk nicht hinaus, auf welches wir jetzt eingehen. Es ist dies:

F. Kalkbrenner: Anweisung, das Pianoforte spielen zu lernen

Friedrich Kalkbrenner's Anweisung, das Pianoforte mit Hülfe des Handleiters spielen zu lernen [Méthode pour apprendre le pianoforte à l'aide du guidemains, Paris 1830].

Nach dieser Ueberschrift vermuthet man eine einseitige Auffassung der Klaviermethodik, und in der That erkennt man, sofern man die Wichtigkeit erwägt, die Kalkbrenner seiner bekannten Leiste [der Chiroplast Logiers, s.o.] ertheilt, sogleich, daß die Mechanik noch mehr in Anspruch genommen wird, als bei Hummel. Die von dem letzteren aufgesammelten Beispiele sind aber mit bei weitem mehr Fleiß und Mühe erfunden; in diesem Punkte hat es sich Kalkbrenner leicht gemacht.

Was die Theorie betrifft, so finden sich, abgesehen von Phrasen, die fast noch mehr als bei den Vorgängern ungenügende, nur allgemeinwissenschaftliche Bildung bekunden, Bemerkungen, die auf einer feineren und erweiterten Empirie beruhen als bei Hummel. Zu jenen Phrasen gehören z.B. Erklärungen wie folgende: "Die Musik ist die Kunst, die Töne zu verbinden; Rhythmus heißt das Verhältniß zwischen zwei aufeinander folgenden musikalischen Gedanken; die Musik, welche den stärksten Rhythmus hat, ist die charakteristischste" usw.

Die Uebersicht über die technischen Studien hingegen verräth eine praktischere Einsicht, wenngleich die dafür aufgestellten Uebungsbeispiele nicht zahlreich genug sind. Kalkbrenner unterscheidet folgende Kapitel:

  1. Die Uebungen in fünf Noten bei stillstehender Hand, als Hauptgrundlage.
  2. Die Tonleiter in allen Formen.
  3. Terzen, Sexten und Accordformen.
  4. <86> Oktaven mit dem Handgelenk.
  5. Trillerstudien.
  6. Uebergreifen der Hände und Leichtigkeit in der Beherrschung aller vereinten Schwierigkeiten.

Die Ausbildung des Handgelenkes ist ein sehr wichtiger Zuwachs, den die Technik durch Kalkbrenner erhält. Die obige Uebersicht ist ohne Frage einfacher als bei Hummel, obwohl auch sie nicht ausreicht; wir werden in Plaidy's Werke eine noch vollständigere kennen lernen. Auch giebt der Verfasser eine gründlichere Theorie der Fingersetzung, worin ihn nur Czerny noch übertrifft. Weniger verdient die Terminologie, Zeichenlehre und die Angabe der Ornamente wegen ihrer Unvollständigkeit Beachtung. Der sogenannte Ausdruck Manieren verliert sich von nun an.

Was K. [Kalkbrenner] über den Vortrag sagt, muß wie bei Adam und Hummel aus verschiedenen Theilen des Werkes zusammengesucht werden, und ergiebt im Wesentlichen folgenden Abriß:

"Das Tempo eines Stückes wird über demselben angegeben, und der Spieler muß sich darnach richten. Versteht er die italienischen Ausdrücke nicht, so muß er sich ihre Bedeutung mit Hülfe eines Lexikons klar machen." Hierauf erfolgen einige Erklärungen abkürzender Zeichen, wie f. p. cresc. usw.

"Der Gebrauch der Pedale ist unerläßlich, und zu beklagen ist die Trockenheit des Tones deutscher Instrumente, die zum Theil gar keine Pedale haben. Er selbst habe von seiner Absicht, in Wien zu conzertiren, deßhalb bereits abstehen wollen, als er auf die Idee kam, ein Stück Kork unter die Dämpferleiste im Diskant zu stellen, so daß die beiden höchsten Oktaven fast fast gar nicht dämpften, und dadurch allein habe er den gewünschten Effekt im Gesange erreicht. Der Gebrauch des Dämpferpedals ist für zwei Falle zu empfehlen: entweder um die Harmonie zu verbinden, oder um die <87> Kraft zu steigern." In der Erkenntniß des letzteren Punktes steht Kalkbrenner über seinen Vorgängern.

"Beim Vortrage muß man sich nicht blindlings vom Gefühle hinreissen lassen, sondern die Effekte wohl überlegen. Der ganze musikalische Ausdruck besteht in den Nüancen, und man muß vor allen Dingen Eintönigkeit vermeiden. Die allgemeinsten Regeln sind folgende: 1. Die aufsteigenden Stellen müssen zunehmend, die absteigenden abnehmend gespielt werden, so daß die höchste Note am stärksten, die tiefste am schwächsten angeschlagen wird. Hierdurch erhält die Musik eine gewisse Wellenbewegung. Die längste Note muß die stärkste sein, die letzten Noten singbarer Sätze müssen ein wenig langsamer gespielt werden; die ersten und letzten Noten sind stärker hervorzuheben als die andern. Die Melodie muß stärker als die Begleitung sein, diese darf nicht immer an den Ausdrucksnüancen jener theilnehmen. Bei häufigem Harmoniewechsel oder wenn die Modulationen schnell aufeinander folgen, muß man die Bewegung anhalten. Die hohen Tasten dürfen nie auf eine ungestüme oder harte Art angeschlagen werden. Man muß so viel als möglich die Wirkungen des Anschlags verbergen, der im Diskant zu hörbar wird. Alle der Tonart fremden und mehr eine zufällige Vorzeichnung habenden Noten müssen mehr markirt werden. Wird eine Note mehrmals wiederholt, so muß man sie durch Anschwellen oder Abnahme verschieden nüanciren. Gebundene und synkopirte Noten werden markirt. Oefter wiederkehrende Stellen müssen gleichfalls verschieden vorgetragen werden, was durch verschiedene Betonung meist glücklich erreicht wird. Der Spieler sitze ruhig und vermeide alle Gesticulation.

"Hinsichtlich des Rhythmus ist die Interpunktion wohl zu beachten. So oft der Schluß einer musikalischen Phrase aufgehalten wird, muß die Stärke geringer sein; erst am vollkommenen Schlusse ist die entschiedene Betonung am Orte. Das Zeichen der Interpunktion <88> sind die Pausen. Man kann folgende Interpunktionen annehmen:

  1. Satzschlüsse oder vollkommene Cadenzen; diese gleichen dem Punkte.
  2. Unvollkommene, von der Tonica zur Dominante gehende Cadenzen; diese gleichen dem Semikolon.
  3. Abgebrochene Cadenzen oder Uebergänge, dem Ausrufungszeichen analog.
  4. Abschnitte, die Virtelpausen haben, sind wie das Komma. Alle diese Absätze muß man behufs des in sie zu legenden Ausdrucks interpungiren.

Ueber den Anschlag ist folgendes zu bemerken: "der Ton des Pianoforte ist keineswegs ganz fertig; fast mehr als bei allen anderen Instrumenten läßt sich derselbe modificiren. Hält man die Finger ausgestreckt oder spielt auf den Nägeln, so wird man wenig Ton herausziehen, man muß die Taste mit dem fleischigen Theil des Fingers anschlagen. Hierauf folgen die üblichen Regeln über die Ruhe des Armes, der Hand usw. Der Anschlag mit dem Handgelenk wird mit Vorzug behandelt. Die Art die Taste anzuschlagen, soll sich auf unzählige Weise verändern, nach den verschiedenen Empfindungen, die man ausdrücken will. Bald muß man die Taste liebkosen, bald sich auf sie stürzen wie der Löwe, der sich seiner Beute bemächtigt. Jedoch muß man, indem man dem Instrumente möglichst viel Ton abgewinnt, sich vor dem Drauflosschlagen hüten. Bravour ist nicht das Höchste, man muß höher hinauf streben, nach Ausdruck, Empfindung und großen Effekten. Besonders muß Abwechselung im Ausdrucke herrschen. Die Melodie muß immer dominiren; hat eine Note ein Vortragszeichen, so dürfen die anderen nicht daran Theil nehmen. Man muß endlich dahin gelangen, daß man Wärme ohne Heftigkeit, Stärke ohne Härte, Sanftheit ohne Schwäche besitzt. Dies ist freilich das höchste Ziel.

Man sieht, Kalkbrenner's Material ist ein wenig reicher geworden, <89> daß aber auch hier eine gründlichere methodische Ausbreitung fehlt, bedarf keiner näheren Ausführung.

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