Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 17

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Die Anwendung der Pedale ist noch zu besprechen. Durch sie erfahren die Anschlagsfarben noch erhebliche Modificationen. Ihre Theorie ist bei der Beschränkung ihrer Zahl auf 2 heut zu Tage einfacher, als ehedem, wo es 4-6 gab.

[Textzusatz der 8. Auflage]

Das Hauptpedal, schlechtweg Pedal genannt, hebt die Dämpfung von den Saiten, das andere, die Verschiebung, rückt die Tastatur ein wenig seitwärts, damit der Hammer nur zwei, bei manchen Instrumenten nur eine Saite berührt. - Das erste steigert den Klang, das zweite mildert ihn.

Das erste Pedal wird gemeiniglich als das wichtigere angesehen. Dies beruht auf einem Irrthum, und ist der Gebrauch mancher Instrumentenmacher, Pianinos und Tafelpianos (die allerdings schwer eine Verschiebung gestatten) nur mit einem Pedale zu versehen, zu tadeln. Die Verschiebung hat gleichen Werth, denn auf ihr beruhen eine Menge großer Feinheiten; dem Lernenden müssen dieselben leider da versagt bleiben, wo er nur ein Pedal zur Verfügung hat. -

Wir besprechen zuerst das Pedal, das schlechthin so bezeichnet wird. Es wird in vier Fällen angewendet: 1. um Töne zu verbinden, 2. um die Zahl klingender Noten zu vermehren, 3. um die Kraft des Klanges zu steigern, 4. um die Poesie der ganzen Schattirung zu fördern. <357>

1. Oft kann die Hand Töne, die zu einer Stimme gehören, nicht verbinden, indem sie für andere beschäftigt ist. Dieser Fall ereignet sich vorzugsweise bei der weitgriffigen und vollstimmigen Schreibweise der Modernität, läßt sich aber auch in älteren Kompositionen, selbst bei Bach, nachweisen. Es kommt natürlich auf die Spannweite der Hand viel an. Die eine wird das Pedal entbehren können, wo die andere, kleinere, darauf hingewiesen ist. Der Fuss bedarf auch einer gewissen Technik im präcisen Niederdrücken und Loslassen des Pedales. Die Dauer des durch das Pedal weiter klingenden Tones muß haarscharf abgemessen werden. Oft wird das Andrücken desselben nur einen Moment erfordern. Dies ist besonders auf Baßtöne anwendbar, die oft die linke Hand zu Spannungen nöthigen, denen sie nicht gewachsen ist. In der modernen Schreibweise, wo das Ohr eine Cantilene verfolgen soll, die mit größeren Passagen umwoben wird, ist die Verbindung einer solchen oft gar nicht anders zu ermöglichen, als durch fortwährenden Gebrauch des Pedals. Die Literatur der Paraphrasen und Phantasien über gegebene Melodien ist hier vor allem namhaft zu machen. Thalbergs Don Juan-Phantasie Op. 42 verlangt fast vbon Anfang bis zu Ende Pedal. - Regel ist hier die genaue Ablösung desselben bei jedem neuen Eintritt einer Harmonie, und ist die Stimmverbindung der Cantilene ist meist so angelegt, daß das dazu nöthige Pedal zwei Aufgaben zugleich erfüllt, nämlich außer der hier in Rede stehenden Verbindung auch zugleich die Häufung klingender Töne; ein Fall, der in Nr. 2 gesondert betrachtet wird.

Beispiele:

[Notenbeispiel S. 357, Nr. 1: J.S. Bach, ???]

[Notenbeispiel S. 358, Nr. 1: Henselt, op. 1]

[Notenbeispiel S. 358, Nr. 1: A. Kullak, La parade des voltigeurs op. 17]

<358> Eine treffliche Studie gewährt das Binden von Accordfolgen durch Pedal, welches der reinen Fingertechnik oft unüberwindliche Schwierigkeiten machen würde. Man nehme kurz nach dem Anschlag der Harmonie den Dämpfer und halte ihn genau bis zum Eintritt der folgenden:

[Notenbeispiel S. 358, Nr. 3: Pedalstudie]

dadurch erzielt man ein völlig sauberes Legato, welches freilich nur bis zu mäßiger Schnelligkeit gesteigert werden kann.

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