Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Vorrede, Kap. 8

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VIII. Von den Eigenschaften der Melodie.

<*22>[...] von den Eigenschafften einer guten Melodie, und von ihrem Unterschiede will ich hier ein Paar Worte sagen, weil man sie in eine Brühe zu werffen suchet.

[...] 1) daß zum deutlichen weit mehr, als zum leichten gehöret. Alles leichte fällt nicht gleich deutlich in die Sinne. Eine Sache kann an sich selbst leicht, und der Vortrag doch, unnöthiger Weise, undeutlich seyn. Leicht ist eine Rede, so lange sie keine schwere Figuren, Wörter, Räthsel und Zweideutigkeiten hat. Fehlt es aber auch nur bloß an Ein= und Abschnitten, am gewissen Augenmerck, an der rechten Ordnung (andrer wichtigern Umstände zu geschweigen) so ist sie gleich undeutlich. Ein Menuett ist eine leichte Melodie; sie kann aber, nur durch die eintzige Hindansetzung oder Verwirrung der Klangfüsse, undeutlich genug werden. Daher sind diese Eigenschafften sehr verschieden.

Wenn ferner 2) in einem Antrage nichts vorhergehet oder nachfolget, das mit demselben zierlich verknüpffet ist, so kann er nichtt fliessend, ob wol leicht und deutlich heissen. [...]

Die Lieblichkeit endlich, als die vierte Eigenschaffte einer guten Melodie, hat 3) gantz was eignes und absonderliches vor den übrigen dreien. Tausend Dinge können leicht, deutlich, fliessend und <*23> doch nicht angenehm oder lieblich seyn. Z[um].E[xemplum]. Was ist leichter, als in die Octav zu fallen, und darin, auch wol gar in der Quint, mit der Gemein[d]e fortzusingen? Was ist deutlicher, als Stuffenweise zu zu verfahren? Was ist fliessender, als die Wiederholung? Doch dennoch ist jener Fall nicht lieblich, [...] ob er gleich, den Umständen nach, ein Ding deutlich ausdrucken kann. Die Grade, ohne Abwechselung, werden unangenehm, und die öfftere Wiederholung bringt Eckel. Alles dieses ist nicht lieblich, ob gleich leicht, deutlich und fliessend.

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