Quantz: Anweisung - Kap. 18

[Seite 28 von 31]

zurück | weiter

§. 82. So schlecht es aber in den vorigen Zeiten, bey aller gründlichen Einsicht der deutschen Componisten in der Harmonie, mit ihrem, und der deutschen Sänger und Instrumentisten ihrem Geschmacke ausgesehen haben mag: so ein anderes Ansehen hat es doch nunmehr nach und nach damit gewonnen. Denn wenn man auch von den Deutschen nicht eben sagen kann, daß sie einen eigenthümlichen, und von den andern Nationalmusiken sich ganz unterscheidenden Geschmack hervor gebracht hätten: so sind sie hingegen desto fähiger, einen andern, welchen sie nur wollen, anzunehmen, und wissen sich das Gute von allen Arten der ausländischen Musik zu Nutzen zu machen.

§. 83. Es fiengen schon im vorigen Jahrhunderte, seit der Mitte desselben, einige berühmte Männer, welche theils Italien oder Frankreich selbst besuchet, und darinne profitiret hatten, theils aber auch die Arbeiten und den Geschmack der verdienten Ausländer zu Mustern nahmen, an, die Ausbesserung des musikalischen Geschmackes zu bearbeiten. Die Orgel? und Clavierspieler, unter den letztern vornehmlich Froberger, und nach ihm <329> Pachhelbel, unter den erstern aber Reinken, Buxtehude, Bruhns, und einige andere, setzeten fast am ersten die schmackhaftesten Instrumentalstücke ihrer Zeit, für ihre Instrumente. Absonderlich wurde die Kunst die Orgel zu spielen, welche man großen Theils von den Niederländern empfangen hatte, um diese Zeit schon, von den obengenannten und einigen andern geschikten Männern, sehr weit getrieben. Endlich hat sie der bewundernswürdige Johann Sebastian Bach, in den neuern Zeiten, zu ihrer größten Vollkommenheit gebracht. Nur ist zu wünschen, daß dieselbe, nach seinem Absterben, wegen der geringen Anzahl derer, die noch einigen Fleiß darauf wenden, sich nicht wieder dem Abfalle, oder gar dem Untergange nähern möge.

Man kann zwar nicht läugnen, daß es in gegenwärtigen Zeiten unter den Deutschen viele gute Clavierspieler gebe: die guten Organisten aber sind anitzo in Deutschland viel rarer, als vor diesem. Es ist wahr, daß man noch hier und da einen und den andern brafen und geschikten Orgelspieler findet. Allein es ist auch eben so gewiß, daß man öfters, so gar in manchen Hauptkirchen großer Städte, die Orgeln von solchen, durch ordentliche Vocation dazu berechtigten Stümpern mishandeln höret, welche kaum Werth wären, Sackpfeifer in einer Dorfschenke zu seyn. Es fehlet so weit, daß dergleichen unwürdige Organisten etwas von der Composition verstehen sollten, daß sie vielmehr nicht einmal einen wohlklingenden und richtigen Baß zu der Melodie eines Chorals ausfinden können, geschweige daß sie dazu zum wenigsten noch zwo richtige Mittelstimmen zu treffen fähig wären. Ja nicht einmal die simple Melodie eines Choralgesanges kennen sie. Oefters sind die blökenden Currentjungen ihre Vorsänger und Muster, nach deren Fehlern sie die Melodien, wohl alle Monate, immer wieder aufs Neue verhunzen. Unter Orgel und Clavicimbal machen sie keinen Unterschied. Das der Orgel eigene Tractament ist ihnen so unbekannt, als die Kunst ein geschiktes Vorspiel vor einem Gesange zu machen: ungeachtet es nicht an gestochenen und geschriebenen Mustern fehlet, woraus sie beydes, wenn sie wollten, erlernen könnten. Sie ziehen lieber ihre eigenen, aus dem Stegreife erschnappeten Gedanken, den besten, mit Vernunft und Ueberlegung ausgearbeiteten Orgelstücken berühmter Männer, vor. Mit ihren ungeschikten bockpfeiferhaften Coloraturen, welche sie zwischen jedem Einschnitte eines Chorals herleyern, machen sie die Gemeine irre, anstatt ihren Gesang in Ordnung zu erhalten. Von der Art wie man das Pedal brauchen soll, hat mancher nicht einmal reden hören. Der kleine Finger der linken Hand, und der linke Fuß, stehen bey vielen in solcher Verbindung mit einander, daß niemals einer, ohne des andern Vorwissen und Uebereinstimmung, einen Ton anzuschlagen sich getrauet. Ich will nicht einmal gedenken, wie sie öfters eine ohnedem schlecht genug ausgeführte Kirchenmusik, durch ihr elendes Accompagnement, noch schlechter machen. Schade! wenn Deutschland den Vorzug des Besitzes guter Orgelspieler nach und nach wieder verlieren sollte. Freylich geben die, an den meisten <330> Orten, gar zu geringen Besoldungen eine schlechte Aufmunterung zu dem Fleiße in der Orgelwissenschaft. Freylich wird auch mancher geschikter Organist, durch den Hochmuth und Eigensinn einiger seiner geistlichen Befehlshaber, niedergeschlagen.

zurück | weiter