Quantz: Anweisung - Kap. 18

[Seite 31 von 31]

zurück

§. 87. Wenn man aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik, mit gehöriger Beurtheilung, das Beste zu wählen weis: so fließt daraus ein vermischter Geschmack, welchen man, ohne die Gränzen der Bescheidenheit zu überschreiten, nunmehr sehr wohl: den deutschen Geschmack nennen könnte: nicht allein weil die Deutschen zuerst darauf gefallen sind, sondern auch, weil er schon seit vielen Jahren, an unterschiedenen Orten Deutschlandes, eingeführet worden ist, und noch blühet, auch weder in Italien, noch in Frankreich, noch in andern Ländern misfällt.

§. 88. Wofern nun die deutsche Nation von diesem Geschmacke nicht wieder abgeht: wenn sie sich bemühet, wie bishero ihre berühmtesten Componisten gethan haben, darinne immer weiter nachzuforschen, wenn ihre neuangehenden Componisten sich mehr, als itziger Zeit leider geschieht, befleißigen, nebst ihrem vermischeten Geschmacke, die Regeln der Setzkunst, so wie ihre Vorfahren, gründlich zu erlernen, wenn sie sich nicht an der puren Melodie, und an der Verfertigung theatralischer <333> Arien allein begnügen, sondern sich sowohl im Kirchenstyle als in der Instrumentalmusik auch üben, wenn sie wegen Einrichtung der Stücke und wegen vernünftiger Verbindung und Vermischung der Gedanken, solche Componisten, welche einen allgemeinen Beyfall erhalten, sich zu Mustern vorstellen, um ihrer Art zu setzen, und ihrem feinen Geschmacke nachzuahmen: doch daß sie sich dabey nicht gewöhnen, wie es von sehr vielen geschieht, sich mit fremden Federn zu schmücken, und etwa den Hauptsatz, oder den ganzen Zusammenhang, von diesem oder jenem auszuschreiben, oder aufzuwärmen, wenn sie vielmehr ihre eigene Erfindungskraft dran strecken, um ihr Talent ohne Nachtheil eines Andern zu zeigen, und aufzuräumen, und um nicht, anstatt Componisten zu werden, immer nur Copisten zu verbleiben, wenn die deutschen Instrumentisten sich nicht, wie oben von den Italiänern gesaget worden ist, durch eine bizarre und komische Art auf Irrwege führen lassen: sondern die gute Singart, und diejenigen, welche in einem vernünftigen Geschmacke spielen, zum Muster nehmen, wenn ferner die Italiäner und die Franzosen den Deutschen in der Vermischung des Geschmackes so nachahmen wollten, wie die Deutschen ihnen im Geschmacke nachgeahmet haben, wenn dieses alles, sage ich, einmüthig beobachtet würde: so könnte mit der Zeit ein allgemeiner guter Geschmack in der Musik eingeführet werden. Es ist auch dieses so gar unwahrscheinlich nicht: weil weder die Italiäner, noch die Franzosen, doch mehr die Liebhaber der Musik, als die Tonkünstler unter ihnen, mit ihrem puren Nationalgeschmacke selbst mehr recht zufrieden sind, sondern schon seit einiger Zeit, an gewissen ausländischen Compositionen, mehr Gefallen, als an ihren inländischen, bezeiget haben.

§. 89. In einem Geschmacke, welcher, so wie der itzige deutsche, aus einer Vermischung des Geschmackes verschiedener Völker besteht, findet eine jede Nation etwas dem ihrigen ähnliches, welches ihr also niemals misfalllen kann. Müßte man auch gleich, in Betrachtung aller, über den Unterschied des Geschmackes bisher angeführten Gedanken und Erfahrungen, dem puren italiänischen Geschmacke, vor dem puren französischen, einen Vorzug einräumen: so wird doch jedermann eingestehen, weil der erste nicht mehr so gründlich, als vor diesem ist, sondern sehr frech und bizarr geworden, der andere hingegen gar zu simpel geblieben ist, daß deswegen ein, von dem Guten beyder Arten zusammengesetzeter <334> und vermischter Geschmack, unfehlbar allgemeiner und gefälliger seyn müsse. Denn eine Musik, welche nicht in einem einzelnen Lande, oder in einer einzelnen Provinz, oder nur von dieser oder jener Nation allein, sondern von vielen Völkern angenommen und für gut erkannt wird, ja, aus den angeführten Ursachen, nicht anders als für gut erkannt werden kann, muß, wenn sie sich anders auf die Vernunft und eine gesunde Empfindung gründet, außer allem Streite, die beste seyn.

zurück