Riemann: Klavierschule op. 39,1

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§ 13. Rhythmische Probleme.

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<73> Ein stehendes Kapitel aller neueren von Clavierspiel handelnden Bücher bilden die sogenannten rhythmischen Probleme, d.h. unregelmässige Untertheilungen der Noten in 3, 5, 6, 7, 9 Theile bei gerader Taktart oder in 2, 4, 8 bei ungerader. Wenn auch offenbar ein solches Thema nicht speciell in eine Clavierschule gehört, sondern vielmehr in die Allgemeine Musiklehre, so hat man sich doch in neuerer Zeit gewöhnt, die Sonderbehandlung der allgemeinen Musiklehre für entbehrlich zu halten, und ihre Lehrsätze den Specialanweisungen für das Spiel eines Instrumentes oder für den Gesang einzuverleiben. Und mit Recht; denn niemand lernt die Musik im allgemeinen <74> abstrakt, vielmehr beginnt jeder mit der praktischen Ausübung in irgend einer Form und erweitert seinen Gesichtskreis erst allmählich zum allgemeinen. Was aber speciell noch auf die Behandlung der rhythmischen Komplikationen in einer Clavierschule hinweist, ist der Umstand, dass für kein Instrument das gleichzeitige Auftreten verschiedenartiger Rhythmen etwas so gewöhnliches ist wie für das Clavier, weil keinem die Mehrstimmigkeit, so leicht wird wie ihm. Die Schwierigkeit der Auffassung der irrationalen rhythmischen Theilungen ist eine verschiedengradige, je nachdem die Zeitwerthe, welche untergetheilt sind, Zähleinheiten oder kleiner oder grösser als diese sind. Wird eine Zähleinheit unregelmässig d.h. überzählig oder unterzählig getheilt, z.B. in 4 oder 2 statt 3, oder in 5 oder 3 statt 4, so ist die Schwierigkeit der richtigen Ausführung nicht gross. Der Zauberspruch, welcher die Schrecken bannt, ist dann: Festhalten der Zähleinheiten ohne Versuche der genaueren Eintheilung der 4 gegen die 3 oder 5. Czerny hat eine Reihe ausgezeichneter Übungen zur definitiven Überwindung der diesbezüglichen Schwierigkeiten geschrieben; es sind das No. 13-17 der "höheren Stufe der Virtuosität" (op. 834). Hält der Lehrer darauf, dass z.B. bei No. 14 (5 Noten gegen 2) der Schüler durchaus die Viertel als Zähleinheiten empfindet, so wird der Schüler nach kurzer Übungszeit das Problem mit Leichtigkeit lösen. Was vom Miteinander gilt, gilt auch vom Nacheinander; das Umsetzen aus gewöhnlichen Achteln in Achteltriolen oder aus gewöhnlichen Sechzehnteln in Sechzehntelquintolen ist ganz leicht, wenn man wirklich die Viertel als Zähleinheiten empfindet. Viel schwerer ist dagegen die Bewältigung derartiger Komplikationen, wenn die Veränderung der Werthe die Zähleinheiten selbst trifft. Dann ist das etwa denkbare Umspringen zur Auffassung der nächst grösseren Werthe als Einheiten kaum thunlich, weil dieselben so langsam sein würden, dass ein sicherer Massstab für die Untertheilung verloren ginge. Am leichtesten wird man noch korrekt damit fertig in den Fällen, wo in einer Stimme die alten Zähleinheiten bleiben und nur eine Gegenstimme die unregelmässigen Werthe bringt z.B.

Notenbeispiel S. 74

<75> Da giebt es nur ein Mittel, nämlich die regelrechte Eintheilung der 4 auf die 3 etc. Die einfachsten Fälle derartiger Komplikationen sind:

Notenbeispiel S. 75

usw.

Da ist man schnell am Ende der Möglichkeit richtiger Eintheilung angelangt. 2 gegen 3 oder 3 gegen 2 sind leicht, 4 gegen 3 und 3 gegen 4 schon ziemlich schwierig, dann aber hört die genaue Controle auf und es handelt sich nur noch um die Reihenfolge der Anschläge. Über diese muss man sich freilich orientiren, wenn man nicht zu arg fehlgehen will.

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