Türk: Klavierschule

Anhang

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3. Abschnitt. Von den vorzüglichsten Instrumentalstücken. [§. 21-43]

<390> §. 21. Die Sonate verdient unter den Tonstücken, welche für das Klavier bestimmt sind, wohl mit dem mehrsten Rechte die erste Stelle. Was man in der Dichtkunst unter der Ode versteht, ungefähr eben das ist in der Musik die eigentliche, wahre Sonate. [FN: ...] Folglich setzt diese Gattung von Instrumentalstücken einen vorzüglichen Grad der Begeisterung, viel Erfindungskraft und einen hohen, fast möchte ich sagen musikalisch=poetischen, Schwung der Gedanken und des Ausdruckes voraus. So wie aber die Gegenstände der Ode ungemein verschieden und bey weiten nicht von gleicher Größe sind, eben so verhält es sich auch mit der Sonate. Der Tonsetzer ist daher - was den Charakter betrifft - in keinem Instrumentalstücke weniger eingeschränkt, als in der Sonate; denn jede Empfindung und Leidenschaft kann darin ausgedruckt werden. Je mehr aber eine Sonate Ausdruck hat, je mehr man den Tonsetzer gleichsam in Tönen sprechen hört, je mehr der Komponist alltägliche Wendungen zu vermeiden weiß &c., je vortrefflicher ist die Sonate. - Gemeiniglich besteht ein solches Instrumentalstück aus drey, seltener aus zwey, vier oder mehreren einzelnen Sätzen, [FN: ...] die zwar gewöhnlich <391> einen verschiedenen Charakter haben; doch sollte in dem Ganzen wohl billig irgend eine Hauptempfindung herrschen. [FN]

Es giebt auch Sonaten, wozu mehrere Stimmen gesetzt sind. Sie werden Sonate a due, a tre &c. genannt. Die Stimmen, in welchen keine Hauptgedanken ausgeführt werden, und die also ohne merklichen Nachtheil des Ganzen wegbleiben können, pflegt man begleitende Stimmen zu nennen, z.B. Sechs Sonaten mit einer begleitenden Violine. Sind aber in der dazu gesetzten Stimme gewisse Hauptgedanken, Nachahmungen u. dgl. angebracht worden, so heißt sie obligat, z.B. Drey Sonaten mit einer obgligaten Flöte.

Diejenigen Sonaten, welche für zwey Spieler (auf Einem Klaviere) bestimmt sind, werden gemeiniglich Sonaten für vier Hände genannt, da hingegen die Sonate für zwey Spieler auf zwey verschiedenen Klavierinstrumenten schlechthin Doppelsonaten heißen. Wiewohl diese letztere Benennung auch andern Sonaten für zwey konzertirende Instrumente zukommt.

Das Wort Sonatine bezeichnet eine kleine (kurze) Sonate.

§. 22. [...]

§. 23. Die Sinfonie (Symphonie) ist ein aus drey &c. Sätzen bestehendes Instrumentalstück, von einem großen, feyerlichen, erhabenen, kühnen, feurigen <392> &c. Charakter. Sie erlaubt zwar mancherley Schattirungen, doch ist ihr das Vollstimmige, Prächtige u. dgl. vorzüglich eigen. Daher erfordert die Sinfonie im Ganzen einen nachdrücklichen, lebhaften Vortrag ohne willkührliche Verzierungen.

Ganz eigentlich für das Klavier geschriebene Sinfonien hat man bis jetzt noch wenige, vielleicht deswegen, weil ihre Bestimmung für das Große, und für eine starke Besetzung ist. Indeß sollte ich doch nicht meinen, daß Klaviersinfonien dem guten Geschmacke entgegen wären. Der ungeübte Spieler, welchem der wahre Sonatenstyl noch nicht faßlich und genießbar ist, würde durch Sinfonien allmählich an größere Stücke gewöhnt werden. Da man sich unter der Sinfonie ein stark besetztes Instrumentalstück denkt, so müßte der Komponist kühne Gedanken und vollstimmige Griffe mit melodischen Stellen abwechseln lassen, um dadurch die gewohnte Mannigfaltigkeit der Instrumentalsinfonien einigermaßen nachzuahmen.

Sulzer vergleicht die Sinfonie mit einem Instrumentalchore, die Sonate aber mit einer Instrumentalkantate.

§. 24. Charakteristische Sinfonien [...]

§. 25. Ouvertüre (Intrade, Einleitung) heißt ein aus zwey oder drey Sätzen bestehendes Instrumentalstück, welches zur Eröffnung einer großen Musik z.B. eines Oratoriums, einer Oper &c. gebraucht wird. Die Ouvertüre muß viel Pracht, Größe und Mannigfaltigkeit haben, vorzüglich soll sie dem Hauptcharakter der folgenden Musik entsprechen. Ehedem wählte man zum ersten Satze einer Ouvertüre gewöhnlich ein Tonstück von ernsthaft feyerlichem Charakter, mit vielen punktirten Noten, alsdann folgte eine gut gearbeitete Fuge, und nach dieser wohl noch ein etwas munterer oder dem ersten ähnlicher Satz. Allein <393> in den neuern Werken findet man wenige Ouvertüren von dieser Art. Doch haben Schweizer (zur Alceste) und Rolle (zum Lazarus &c.) solche Ouvertüren geschrieben.

§. 26. Das Divertiment (Divertimento, Divertissement) ist ein für das Klavier oder für mehrere Instrumente gesetztes Tonstück, welches aus zwey, drey oder mehreren Sätzen besteht, und gemeiniglich, außer der Belustigung, (dem Zeitvertreib,) keine Bestimmung zu haben scheint. Wer ein Instrumentalstück fertig hat, wozu er keine schickliche Benennung weiß, weil er selbst fühlt, daß es als Sonate nicht ausdrucksvoll und charakteristisch genug, als Sinfonie zu matt ist u.s.w. der wählt mit Recht die Ueberschrift: Divertimento.

Bey dieser Beschreibung hatte ich Divertimente von Firnhaber in Gedanken; es giebt aber, außer diesen, auch Divertimente von großem Werthe.

§. 27. Die Benennung Konzert (Concerto) haben zweyerley Gattungen von Instrumentalstücken. Wenn nur Eine Hauptstimme (konzertirende Stimme) darin vorkommt, so sagt man schlechthin ein Konzert. (Kammerkonzert.) Hierher gehören z.B. die Konzerte für den Flügel, für die Violine, Flöte u.s.w. Gewöhnlich nimmt man bey dieser Gattung von Instrumentalstücken mehrauf die Fertigkeit des Spielers, als auf einen besondern Charakter Rücksicht; daher ist es oft nicht zu bestimmen, welcher Affekt in einem Konzerte hat ausgedruckt werden sollen. - Das Ganze besteht gewöhnlich aus drey Sätzen. Ehe in der Hauptstimme das erste Solo eintritt, spielen die Begleiter einige Perioden, (Rhythmen,) welche man das Ritornell (Tutti) nennt. Auch nach jedem Solo führen die begleitenden Instrumentisten einen kürzern oder längern Zwischensatz aus. Nach dem letzten Solo schließt jeder Satz wieder mit dem Ritornelle, oder nur mit einer Stelle desselben. Alle drey Sätze sind gewöhnlich von einander abgesondert, so daß jeder ein Ganzes für sich ist, doch giebt es auch Konzerte, worin Ein Satz mit dem Andern zusammenhängt.

Die zweyte Gattung von Konzerten hat mehrere Hauptstimmen z.B. einen Flügel und eine Violine; oder eine Flöte, Violine und Viole &c. Ein Konzert von zwey Hauptstimmen nennt man gemeiniglich ein Doppelkonzert; sind mehrere Stimmen konzertirend, so ist die Benennung Concerto grosso gebräuchlich.

<394> §. 28. Die konzertirenden Sinfonien [...]

§. 29. Die Serenade, (Serenada,) [FN] als Instrumentalstück betrachtet, hat einen sehr einfachen, ungekünstelten, gefälligen Charakter; der Vortrag dieser Stücke muß daher angenehm und schmeichelnd seyn. Man könnte auch blos für das Klavier gesetzte Serenaden schreiben, [FN: ...] ob sie gleich, wie die Sinfonien, für mehrere, besonders Blasinstrumente bestimmt sind, und eigentlich in der Dämmerung oder bey eintretender Nacht gespielt werden sollen.

§. 30. Die Suiten, (Partien,) welche jetzt etwas seltener werden, bestehen aus einer Folge mehrerer kurzen Stücke z.B. aus einem Marsche (oder aus einer kleinen Ouvertüre, Intrade &c.) aus einem ALLEGRO, ANDANTE u.dgl.m. Besonders enthalten die Suiten gewöhnlich eine Anzahl kleiner Tanzstücke.

§. 31. Unter Duett versteht man ein Instrumentalstück von zwey konzertirenden Stimmen ohne Baß, wozu aber in Duetten für Singstimmen, außer dem Basse, noch begleitende Instrumente gesetzt seyn können. Instrumentalstücke z.B. für zwey Flöten, oder für das Klavier und für die Violine &c. pflegt man auch wohl Duo's zu nennen, um sie dadurch von Singduetten zu unterscheiden. Da auf dem Klaviere der Baß gewissermaßen als eine besondere begleitende Stimme anzusehen ist, so kann man hierbey das Wort Duo (oder Duett) wohl nicht ganz richtig gebrauchen; denn ein solches Instrumentalstück für den Flügel und für die Violine &c. mit einem begleitenden Klavierbasse, gehört eigentlich zu den Sonaten, mit welchen es auch die mehrsten übrigen Eigenschaften gemein hat.

<395> §. 32. Das Wort Trio [FN] kommt in mehr als Einer Bedeutung vor. Genau genommen versteht man darunter ein Instrumentalstück von drey oder mehreren Sätzen für drey konzertirende Stimmen, wo also der Baß ebenfalls gewisse Hauptgedanken, Nachahmungen u. dgl. auszuführen hat. Allein in dieser Bedeutung wird das Wort Trio gegenwärtig selten gebraucht; denn man nennt gewöhnlich schon jedes Tonstück von zwey Hauptstimmen und einem blos begleitenden Basse ein Trio. Von der Art sind die mehrsten Klaviertrio's mit einer obligaten Violine u. dgl.

Außerdem wird auch der zweyte Satz einer Menuett das Trio genannt, und zwar deswegen, weil die Menuett selbst eigentlich nur zweystimmig, das Trio aber zur Abwechslung dreystimmig gesetzt seyn soll. Den zweyten Satz einer Polonaise und anderer Tanzstücke bezeichnet man ebenfalls oft, allein nur selten passend, durch das Wort Trio.

§. 33. Die Instrumentalstücke, welche unter der Benennung Quatuor, Quinquor &c. bekannt sind, [...]

§. 34. Charakteristische Tonstücke nennt man vorzugsweise [FN: Einen Charkater sollten alle Stücke haben.] diejenigen einzelnen Tonstücke, worin entweder der Charakter einer Person &c. oder irgend eine Leidenschaft z.B. die Liebe, der Stolz &c. ausgedrückt wird. Von der erstern Gattung haben wir von [C.Ph.E.] Bach, Fasch, Schulz u.a.m. vortreffliche Muster. Auch fehlt es nicht an einigen guten Stücken von der zweyten Gattung; ob wir gleich andere füglich hätten entbehren können.

§. 35. Die Fantasie wird größtentheils erst während des Spielens erfunden, doch giebt es auch Fantasien, welche, wie andere Tonstücke, schon vorher komponirt und in Noten gesetzt worden sind. Frey heißt eine Fantasie, wenn sich der Erfinder weder an einen gewissen Hauptsatz, (Thema,) noch an den Takt oder Rhythmus bindet, (obgleich bey einzelnen Gedanken eine Taktart statt finden kann,) wenn er in Ansehung der Modulation ausschweift, wenn er verschiedene, oft entgegen <396> gesetzte Charakter ausdruckt; kurz, wenn er sich völlig seiner Laune überläßt, ohne eine bestimmten Plan auszuführen. Gebunden heißen diejenigen Fantasien, in welchen eine Taktart zum Grunde liegt, wobey man sich mehr an die Gesetze der Modulation bindet, worin mehr Einheit beobachtet wird u.s.w.

§. 36. Das Kapriccio [Fußnote: Wozu auch die Toccate, Boutade, Ricercare &c. gerechnet werden kann.] (Capriccio) ist ebenfalls eine Art von Fantasie, ohne festgesetzten Plan u. dgl. Das Ganze scheint nur ein Einfall zu seyn, welcher sich von selbst dargeboten hat. In Händels Klavierstücken kommen mehrere Kapriccio's vor.

Von diesen Tonstücken schreibt Mattheson im vollkommenen Kapellmeister: "Je wunderlicher und ausserordentlicher sie sind, je mehr verdienen sie ihren Namen."

§. 37. Das Präludium (Vorspiel) hat mit der Fantasie vieles gemein z.B. das Uneingeschränkte in Absicht auf den Takt, auf die Modulation u.s.w. Der Charakter eines Präludiums, mit welchem die ältern Komponisten gewöhnlich eine Fuge verbanden, ist größtentheils sehr unbestimmt. Billig sollten aber die Organisten beym Präludiren vor den Liedern auf den Inhalt des folgenden Gesanges Rücksicht nehmen. - Ganz unerträglich ist das so gewöhnliche Präludiren der Instrumentisten vor einer Musik; da die Zuhörer ohnedies schon bey dem starken und langen Stimmen genug erdulden müssen.

Ueber das zweckmäßige Präludiren habe ich in der mehrmals gedachten Schrift: Von den wichtigsten Pflichten &c. einen eigenen Abschnitt beygefügt.

§. 38. Die Fuge ist ein zwey- drey- vier- oder mehrstimmiges Tonstück, worin der Hauptsatz (das Thema, Subjekt, der Führer, dux) anfangs nur von Einer Stimme, nach und nach aber von den übrigen, in eben dem Tone oder in einem Andern (mit kleinen Veränderungen) ausgeführt wird. Auch in der Mitte, und überhaupt sehr oft, kommt das Thema in irgend einer Stimme vor. Man hat einfache, doppelte, drey- und vierfache Fugen. Einfach (nicht einstimmig) heißt eine Fuge, wenn sie nur Ein Thema hat, welches in allen Stimmen beybehalten wird. Eine Doppelfuge muß zwey, eine dreyfache drey, und eine vierfache vier solche Hauptsätze haben. Von der letztern und schwersten Gattung ist z.B. die Fuge aus F dur in Händels Alexanders Fest. Unter den Doppelfugen zeichnet sich die von Graun: "Christus hat uns ein Vorbild gelassen &c." sehr <397> zu ihrem Vortheile aus. Bey den Worten: "Auf daß wir sollen nachfolgen &c." tritt das zweyte Thema ein.

Fugirte Sätze heißen einzelne nachahmende Stellen, deren in Duetten, Trio's u. dgl. häufig vorkommen.

Eine sehr ausführliche Beschreibung von allem, was zur Kenntnis und Verfertigung einer Fuge nöthig ist, findet man in Marpurgs Abhandlung von der Fuge.

§. 39. Der Kanon [...]

<398> §. 40. Das Rondo, (Rondeau, Rondo, Zirkelstück, beym Singen der Rundgesang) ist ein einzelnes Tonstück, worin ein kurzer Hauptsatz von einem zärtlichen, muntern, tändelnden &c. Charakter zum Grunde liegt. Nach jedem Zwischensatze, (COUPLET,) deren ein Rondo oft zwey, drey und mehrere hat, wird der Hauptsatz wiederholt. Daß dies nicht immer im Haupttone selbst geschehen müsse, sondern in verschiedenen Nebentönen statt finde, hat [C.Ph.] E. Bach in seinen Rondo's gezeigt.

§. 41. Die Romanze, welche sich jetzt auch in die Instrumentalmusik eindrängt, muß, ihrem ursprünglichen Endzwecke gemäß, eine simple, gefällige, naive Melodie haben, wie schon von Rousseau ganz richtig angemerkt worden ist. Der Spieler hat sich dabey vor allen Manieren und Zusätzen sorgfältig zu hüten, denn die simple Melodie wird blos durch zunehmenden Ausdruck, nicht durch Verzierungen oder Zusätze, veredelt und eindringender gemacht.

§. 42. Das Wort Solfeggio wird eigentlich vom Gesange gebraucht, und bezeichnet ein Tonstück zur Uebung im Treffen [...]. Beim Klavierspielen versteht man unter SOLFEGGIO ebenfalls ein Tonstück, welches blos zur Uebung im Spielen, und um sich Fertigkeit zu erwerben, bestimmt ist. [...]

<399> §. 43. [...]

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