Türk: Klavierschule

Kap. 6, Abs. 5 (c)

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(c) Vom TEMPO RUBATO. [§. 72-73]

<374> §. 72. Das sogenannte Tempo rubato oder robato (eigentlich gestohlnes Zeitmaß) bestimmte ich §. 63. als das letztere Mittel, dessen Anwendung dem Gefühle und der Einsicht des Spielers überlassen wird. Dieser Ausdruck kommt in mehr als Einer Bedeutung vor. Gemeiniglich versteht man darunter eine Art von Verkürzung und verlängerung der Noten, oder ein Verrücken (Versetzen) derselben. Es wird nämlich Einer Note etwas von ihrer Dauer entzogen, (gestohlen,) und dafür einer Andern so viel mehr gegeben, wie in den nachstehenden Beyspielen (b) und (c)

Bey (a) sind die simpeln Noten, bey (b) ist das TEMPO RUBATO durch eine Vorausnahme (anticipatio) und bey (c) durch eine Verzögerung (retardatio) angebracht. Man sieht hieraus, daß durch diesen Vortrag das Zeitmaß oder vielmehr der Takt im Ganzen nicht verrücket wird. Folglich ist der gewöhnliche, aber etwas zweideutige deutsche Ausdruck: verrücktes Zeitmaß, nicht passend; denn die Grundstimme geht ihren Gang taktmäßig (unverrückt) weiter, nur die Noten der Melodie werden gleichsam aus der ihnen zukommenden Stelle verschoben. <375> Daher wäre vielleicht der Ausdruck: das Versetzen (oder Verzeihen) der Noten oder Taktglieder &c. richtiger. [...]

Dieses Tonverziehen, wie es sonst auch genannt wird, muß sehr behutsam angewandt werden, weil leicht Fehler in der Harmonie dadurch entstehen können. [...]

Außer der angezeigten Bedeutung des TEMPO RUBATO versteht man unter diesem Ausdrucke zuweilen auch nur eine besondere Art des Vortrages, wenn nämlich der Accent, welcher den guten noten zukommt, auf die schlechten verlegt wird, oder mit andern Worten: wenn man die Töne auf dem schlechten Takttheile & stärker vorträgt, als diejenigen, wleche in die gute Zeit des Taktes oder einer Note fallen [...].

[...]

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